: Schläger für Schlag
POLITSPORTLER Kaum hat er Shannon Briggs aus dem Ring geprügelt, geht Boxweltmeister Vitali Klitschko auf Wahlkampftour durch die ukrainische Provinz – mit mäßigem Erfolg
WAHLKÄMPFER VITALI KLITSCHKO
AUS BROWARY ANNETTE BRÄUNLEIN
„We are the champions“, dröhnt es über den Freiheitsplatz im Zentrum von Browary, einer Stadt im Kiewer Umland. Die Ansage von der Bühne am Kopfende des Platzes geht darin beinahe unter: „Begrüßen Sie mit mir den Helden der Ukraine, Weltmeister im Boxen und Führer der Partei Ukrainische Demokratische Allianz für Reformen, Vitali Klitschko!“ Die Menschenmenge, die sich an diesem Samstagnachmittag vor der Bühne mit den rot-weißen Fahnen von Klitschkos Partei, die abgekürzt Udar, zu deutsch „Schlag“, heißt, versammelt hat, drängt in Richtung der Geländewagen, die eben herangerauscht sind. Aus einem der Autos mit verdunkelten Scheiben steigt der Zwei-Meter-Mann Vitali Klitschko, der ältere der Klitschko-Brüder, und bahnt sich – Autogramme verteilend – mit Hilfe einer Schar Bodyguards einen Weg durch die Menge, erklimmt die Bühne und baut sich vor dem Mikrofon auf. Die Musik wird leiser. „Ich bin heute nicht als Sportler hier, nicht als Weltmeister“, ruft er seinem Publikum mit ruhiger kräftiger Stimme zu, „heute stehe ich vor Ihnen als Führer der Partei Udar.“
Es ist das letzte Wochenende vor den ukrainischen Regional- und Kommunalwahlen, die am Sonntag stattgefunden haben, und Vitali Klitschko ist für Udar auf Wahlkampftour. Er sieht noch etwas mitgenommen aus. Am Wochenende zuvor hat er seinen Weltmeistertitel gegen den Amerikaner Shannon Briggs verteidigt. Nun steht er im dunklen Anzug mit offenem Hemdkragen auf der Bühne in Browary und verkündet das politische Programm seiner Partei. Er selbst trat nicht an, da in der Hauptstadt Kiew, wo er seit 2006 Abgeordneter des Stadtrats ist, erst 2012 wieder gewählt wird.
In Kiew, in dessen Innenstadt er – neben Hamburg und Los Angeles – eine Wohnung hat, unternahm Klitschko 2004 die ersten Schritte in der Politik, als er den Führer der orangenen Revolution, Wiktor Juschtschenko, unterstützte. Als dieser Präsident wurde, holte er den promovierten Sportwissenschaftler Klitschko in sein Beraterteam. 2006 und 2008 kandidierte Klitschko bei den Bürgermeisterwahlen in Kiew, landete auf dem zweiten und dritten Platz und errang damit ein Abgeordnetenmandat. Zusammen mit seiner Oppositions-Fraktion „Block Vitali Klitschko“ profilierte er sich vor allem im Kampf gegen illegale Grundstücksgeschäfte in Kiew – und das auch schon mal mit Körpereinsatz.
Auf der Wahlkampf-Bühne in Brovary spricht Vitali Klitschko nun darüber, dass er in die ukrainische Politik gegangen ist, um nicht bloßer Beobachter zu bleiben, sondern etwas zu verändern. „Und leider muss man in unserem Staat fast alles ändern.“ Er spricht darüber, dass die sich ständig vergrößernde soziale Spaltung der Ukraine in eine kleine Gruppe Superreicher und die übergroße Mehrheit, die nur mit Mühe über die Runden kommt, sowie die allgegenwärtige Korruption die größten Probleme des Landes seien. „Viele Beamte verdienen nicht mehr als tausend Griwna im Monat, aber schämen sich nicht, mit Autos zur Arbeit zu fahren, die hunderttausende Dollar kosten, und sich Villen für Millionen zu bauen, denn niemand fragt sie und niemand bestraft sie.“ Klitschko wettert gegen die die aktuellen und bisherigen Politiker, nennt sie „Nomenklatura“ und kritisiert, dass sie die Seiten wechseln, „nur um in der Nähe der Futtertröge zu sein. Ihre Zeit vergeht, aber unsere junge Partei ist gekommen, um für lange zu bleiben.“
Als Vitali Klitschko mit seiner Rede fertig ist, tritt ein orthodoxer Priester nach vorn und segnet den Parteiführer. Zu „We are the champions“ verschwindet Klitschko dann in seinem Geländewagen. Viele Menschen auf dem Freiheitsplatz in Browary halten zwar viel von Vitali Klitschko, aber als Politiker sehen sie ihn nicht. „Ich schätze sehr, wie er sich im Kiewer Stadtrat für die Rechte der einfachen Leute einsetzt“, sagt Tatjana, eine 33-jährige Lehrerin. „Aber in erster Linie ist er für mich immer noch Sportler. Außerdem denke ich, dass man nicht gleichzeitig Sportler und Politiker sein kann.“
Genau darin sieht auch der renommierte Politologe und Direktor des Kiewer Gorschenin-Instituts für Verwaltungsfragen, Wladimir Fesenko, das Hauptproblem des Politikers Vitali Klitschko: „Klitschko sucht sich noch als Politiker, viel Kraft und Zeit gehen bei ihm noch in den Sport. Zwar genießt er bei einer bedeutenden Zahl von Ukrainern ein ziemlich großes Vertrauen, aber bislang sind sie noch nicht bereit, für ihn zu stimmen.“ Zumindest nicht außerhalb Kiews, wo seine meisten Anhänger seien. Laut Umfragen liegt das Wählerpotenzial landesweit sowohl für die Partei Udar als auch für Klitschko alleine bei rund 1 Prozent. genaue Zahlen über das Abschneiden bei der Kommunalwahl lagen bis gestern noch nicht vor. Die Auszählung ist noch nicht abgeschlossen. Fesenko hält Klitschko unabhängig vom Wahlergebnis für einen der Hoffnungsträger unter den Politikern der sogenannten „neuen Welle“. Denn er gelte als einer, der – anders als die aktuellen Politiker – die Probleme des Landes mit modernen Methoden lösen könne.
„Ich weiß, wie das Leben in zivilisierten Ländern funktioniert, und ich möchte gerne, dass die dortigen Standards auch hier etabliert werden“, sagt Vitali Klitschko im Fond seines Geländewagens. „Damit meine ich das Sozialsystem, die medizinische Versorgung und die Regeln, nach denen Wirtschaft und Politik funktionieren. Um einen Vergleich mit dem Sport zu ziehen, so erinnert mich in der Ukraine nichts an Sport, ans Boxen, das ist eher ein Kampf ohne Regeln.“
Wladimir Fesenko hat beobachtet, dass es vor allem am Anfang von Klitschkos politischer Tätigkeit Versuche aus dessen politischem Umfeld gegeben habe, sich Klitschkos Popularität zu bedienen, um Zugang zu Macht oder Finanzquellen zu bekommen. „Als aber klar wurde, dass Klitschko sich nicht auf Kompromisse mit der Stadtregierung einlässt, verließen ihn diese Leute.“ Deshalb sieht Fesenko eine der größten Aufgaben für Klitscho aktuell darin, sich eine professionelle Mannschaft zusammenzustellen, die diese Gefahr nicht in sich birgt. Mindestens in einem Punkt müsse der Profi-Sportler indes für seine politische Karriere umlernen, meint Wladimir Fesenko: „Während ein Sportler seinen Fans vor allem gefallen, ihnen Freude bringen muss, muss ein Politiker auch unpopuläre Entscheidungen treffen.“ Irgendwann wird er sich jedenfalls entscheiden müssen, ob er Boxer sein will oder Politiker. Dieser Meinung ist auch Wsjewolod, einer von Klitschkos Zuhörern in Browary: „Schließlich ist es für die Politik nicht gerade förderlich, ständig Schläge auf den Kopf zu bekommen.“