Scheherezâde vor Gericht

HIPPEN EMPFIEHLT In „Dunia“ von Jocelyne Saab wird die Sinnlichkeit der traditionellen Kultur des Orients zelebriert und die Lustfeindlichkeit der Fundamentalisten angeklagt

Die Regisseurin wagt hier einen Gegenentwurf zum Bilder- und Lustverbot, das von vielen moslemischen Eiferern propagiert und durchgesetzt wird

VON WILFRIED HIPPEN

In vielen moslemisch geprägten Ländern wurden die „Geschichten aus 1001 Nacht“ zensiert. Selbst im vergleichsweise liberalen Ägypten ist das Buch wegen Pornografie verboten, und nachdem der Literat Beshir in einer Polemik schreibt, dies wäre, als würde man „Scheherezâde den Prozess machen“, wird ein Anschlag auf ihn ausgeführt, bei dem er sein Augenlicht verliert.

Dies ist nur ein dramaturgischer Nebenstrang des Films „Dunia“ von Jocelyne Saab, aber er macht deutlich, worum und zu welchem Preis darin gekämpft wird.

Die in Jordanien geborene und jetzt in Paris lebende Regisseurin wagt hier einen großen Gegenentwurf zum Bilder- und Lustverbot, das in der moslemischen Welt zunehmend propagiert und durchgesetzt wird. Ihr Film ist durchtränkt von leuchtenden Farben, ägyptischer Popmusik, Poesie und Tanz. Sie zelebriert das klassische Erbe der arabischen Kultur zum einen stilistisch, indem sie einen ausgesprochen ästhetischen und sinnlichen Film gemacht hat, in dem es kein hässliches Bild und keinen stumpfen Ton gibt. Und sie erzählt die Geschichte einer musischen Erziehung, bei der die Schülerin in den Techniken und Tugenden ihrer alten und reichen Kultur unterwiesen wird.

Die Titelheldin ist eine Kairoer Literaturstudentin, die bei einem Casting in die Endauswahl als Tänzerin kommt, und deshalb Lektionen bei einem renommierten Tanzlehrer nehmen darf.

Ihre Mutter war eine berühmte Bauchtänzerin und sie promoviert ausgerechnet zum Thema der Liebe in der arabischen Poesie. Dies ist wohl ein wenig zu viel des Guten, Schönen und Wahren.

Der Film ist immer dann am schwächsten, wenn er missionarisch wird. So bekommt das Publikum zusammen mit der Protagonistin gleich mehrere Lektionen in arabischer Dichtkunst, Tanz und Sufi-Mystik. Der Sänger Mohamed Mounir und der Choreograf Walid Aouni sind zwar Koryphäen in ihren Künsten, die sie grandios ausführen und analysieren können, aber der didaktische Unterton schmälert leider den Genuss.

Vielleicht ist es kein Zufall, wenn der Film immer dann ganz bei sich ankommt, wenn er unter Frauen spielt. Ihre Lektionen im Leben bekommt Dunia von zwei älteren Freundinnen. Die eine ist eine mondäne Intellektuelle, die andere eine bodenständige Taxifahrerin, und von beiden lernt Dunia, wie man sich selbstbewusst in einer vorherrschend frauenfeindlichen Gesellschaft durchsetzten und dabei ein wenig persönliche Freiheit erringen kann.

Hier wird konkret vom Leben moderner Frauen in konservativen Zeiten erzählt, und hier folgt Saab auch einer anderen starken Tradition ihrer Kultur, indem sie zu fabulieren anfängt und die Geschichte mit melodramatischen Entwicklungen und tragischen Enthüllungen lebendig werden lässt.

Die selbstbewussten Frauen erleben Anfeindungen auf der Straße, aber zum Glück erspart Saab uns den Kreuzzug der Eiferer als tragischen Höhepunkt. Der Gegenschlag ist subtiler und deshalb um so erschütternder. Die Mutter einer von Dunias Freundinnen setzt Genitalverstümmelung ihrer Enkelin durch und so wird deutlich, dass die Beschneidung die zentralen Metapher des Films ist.

Nicht nur deshalb gab es in Ägypten sehr kontroverse Reaktionen auf den Film. Die Zensur wollte ihn nicht nur beschneiden, sondern ganz verbieten und erst nach internationalen Protesten musste der Präsident Hosni Mubarak persönlich ihn freigeben.

Im Bremer Kino 46 beginnt mit ihm eine Reihe von vier Filmen, die im November zum Thema „Liebe in islamischen Welten“ gezeigt werden