: Penetrante Treueschwüre
Der Hamburger SV präsentiert sich vor dem Champions-League-Spiel beim FC Porto erneut in desolater Verfassung. Für Klubchef Bernd Hoffmann ist Thomas Doll auch nach der 1:2-Schlappe gegen Schalke 04 immer noch ein Toptrainer
aus hamburg frank hellmann
Das Ritual besaß Kultcharakter – in guten wie in schlechten Zeiten. Egal, wie es ausging beim Hamburger SV, stets haben sich die Spieler nach dem Schlusspfiff vor der Nordkurve aufgereiht, um ihre Verbundenheit mit den treuen Anhängern zu demonstrieren. Wenn dabei Timothee Atouba noch Maskottchen Dino an die Hand nahm und die Mannschaft mal wieder gewonnen hatte, weitete sich die Prozedur zum schier endlosen Tanz-Spektakel aus. Das war einmal. Der Hamburger SV im Herbst des Jahres 2006: Eine Ansammlung von Egomanen und Einzelspielern zerstreut sich in alle Himmelsrichtungen, auf den in Minutenschnelle geleerten Stehplätzen herrscht bei den wenigen Verbliebenen das blanke Entsetzen. Ein paar Profis klatschen im Mittelkreis halbherzig Beifall, das Gros der Protagonisten hat sich derweil längst betreten und bedient Richtung Kabinen getrollt. Kopfschüttelnd, kommentarlos.
Es ist Klubchef Bernd Hoffmann, der sich nach dem 1:2 gegen den FC Schalke 04 später den Mund fusselig reden wird. Warum man an dem Ziel festhalte, unter die Topklubs Europas vorzustoßen („Das lassen wir uns in zwei Monaten nicht umschmeißen“) und warum die Einkaufspolitik richtig gewesen sei („Dieser Kader hat Klasse“) und warum die Ausfälle so schwer wiegen würden. „Wir werden von der größten anzunehmenden Seuche in Tateinheit mit Dummheit geplagt“, sagt Hoffmann. Das mag sich zwar hübsch anhören – ist aber eine ziemlich inhaltslose Worthülse für die auch von ihm, dem Klubchef zu verantwortenden Defizite.
Gegen gewiss nicht übermächtige Schalker bildeten personelle Ausfälle und individuelle Unzulänglichkeiten eine unheilvolle Konstellation, die für den morgigen Champions-League-Auftritt beim FC Porto nichts Gutes erahnen lässt. Wieder einmal hatte sich das HSV-Ensemble als konzept-, kopf- und disziplinlose Mannschaft geoutet – das zwölfte sieglose Pflichtspiel der Saison mit der sechsten vorzeitigen Hinausstellung und einem leichtfertig verschossenen Elfmeter in Unterzahl wirft unbequeme Fragen auf.
Zwangsläufig auch diese: Hat Thomas Doll die schwierige Lage noch im Griff? „Er spricht alles an, er stellt uns prima ein – aber wir setzen es einfach nicht um“, klagt der junge Alexander Laas. Doch jedwede Kritik am Trainer bügelte der Vorstandsboss ab. „Er ist jetzt und in Zukunft der richtige Mann am richtigen Platz“, sagte Hoffmann zum Thema Doll.
Die Treueschwüre wiederholt der Chef penetrant, zu den geschaffenen Topstrukturen habe man einen Toptrainer – und der heiße Doll. Nicht einmal „Pergamentpapier“ passe zwischen Vorstand und Trainer, beteuert Hoffmann. „Ich kenne kein denkbares Szenario, bei dem wir im sportlichen Bereich handeln müssten. Sorgen über den vorletzten Tabellenplatz würde ich mir machen, wenn wir den 27. statt den siebten Spieltag hätten.“
Doch auch dem HSV-Chef werden die Kardinalfehler nicht entgangen sein: Etwa der hanebüchene Fehlpass des arg überschätzten niederländischen Nationalspielers Joris Mathijsen, den Halil Altintop nutzte (16.).
Oder die Unbeherrschtheit des um einen Millionen-Vertrag pokernden David Jarolim, der nach dem Ausgleich des fleißigen Piotr Trochowski (30.) seine Mannschaft schwächte, indem der Tscheche mit gestrecktem Bein zu Werke, d.h. in den Gegner, ging und Gelb-Rot kassierte (43.). „Wir müssen in diesen Szenen professioneller und cooler zu Werke gehen“, klagte Doll.
Genau das aber gelingt derzeit überhaupt nicht: Bezeichnend, dass Großverdiener Nigel de Jong erneut wegen akuter Rot-Gefahr zur Pause in der Kabine bleiben und durch einen Amateur, Benny Feilhaber, ersetzt werden musste. Es passte zum Dilemma, dass exakt jener Feilhaber in der 53. Minute das entscheidenden Kopfballduell verlor, in dem Marcelo Bordon den Siegtreffer für die Schalker köpfte. Fünf Minuten zuvor hatten die Hamburger zu allem Überfluss noch einen umstrittenen Elfmeter versiebt: Boubacar Sanogo scheiterte am stark reagierenden Torhüter Frank Rost. „Bei uns schießt der, der sich sicher fühlt: Aber im Nachhinein hätte besser Piotr Trochowski geschossen“, erklärte Doll mit zerknirschter Miene.
Zwei derartige Schüsselszenen seien für seine Mannschaft zu viel gewesen, „wir werden Prügel einstecken, aber wir werden daraus lernen und wieder aufstehen.“ Es sind Statements, die Doll seit Wochen von sich gibt – und Rückschlag für Rückschlag quittiert. Der nächste lauert morgen in Porto – mit einer weiteren Niederlage in der Champions League wären auch alle internationalen Ambitionen der Norddeutschen auf absehbare Zeit zerstäubt.