: Kunst macht viel Arbeit
Zehn Künstler handelten und bringen nun in der Jüdischen Mädchenschule in Berlin einige neue Dinge in die Welt. Kunstwerke, die ihre Ausstellung in einen Hannah-Arendt-Gedenkraum und darüber hinaus -Denkraum überführen
Die Stadt Weißenfels in Sachsen-Anhalt muss so gut wie jede andere Kommune in Deutschland versuchen, im globalen Wettkampf um Arbeit mitzuhalten. Da sollten die Menschen genug (oder zu wenig) zu tun haben, als sich noch mit einer Denkerin auseinanderzusetzen, die bei Arbeit nicht einfach von Arbeit sprach, sondern auch von Herstellen und von Handeln. Hannah Arendt entwarf eine „Bühne der Welt“, in die der Mensch (das animal laborans) durch Herstellen neue Dinge bringt, die er aber auch durch den Prozesscharakter des Handelns verändert. Für viele Menschen nimmt sich die Arendt’sche Unterscheidung ein wenig anders aus: Berufung – Job – Maloche?
Unter diesem Titel bot die Künstlerin Judith Siegmund in diesem Sommer in Weißenfels Hannah-Arendt-Lesekurse an. An zwei Wochenenden ging es darum, sich mit den Texten der wichtigsten politischen Theoretikerin auseinanderzusetzen, die Deutschland im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat. Das Ergebnis lässt sich zwar nicht in Zahlen oder Einsichten messen, zumindest aber kann man dokumentieren, was die Lektüre so bewirkt. Die Videoschirme, auf denen junge Leute aus Weißenfels über Hannah Arendt sprechen, sind ein zentraler Bestandteil der Ausstellung „Hannah-Arendt-Denkraum“, die an diesem Wochenende in der ehemaligen jüdischen Mädchenschule in der Auguststraße in Berlin-Mitte eröffnet hat.
Der Ort ist durch die Berlin-Biennale zu einiger Prominenz gekommen. Nun da er für eine kleinere Schau genutzt wird, entfaltet das Gebäude erst recht seinen mehrfachen Mahnmal-Charakter – man kann eine versunkene Bildungswelt hineindenken, eine Welt, die mit Hannah Arendt ins Exil ging. Eine Welt, die der Bedrohung oder Verführung des Totalitarismus nicht standhielt und so wenig aus dem Exil zurückkehrte wie Hannah Arendt selbst.
Der Denkraum besteht nun aus mehreren Kunsträumen, wobei nicht wenige Beiträge sehr konkret mit den Texten selbst und deren Präsentationsformen in anderer als der Buchform arbeiten. Martha Rosler, die Pionierin der „Wordworks“, zeigt in „Reading Hannah Arendt (Politically)“ bedruckte Folien, die von der Decke hängen. Das zentrale Zitat stammt dabei aus „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. Es bezieht sich auf die Produktion von Feinden durch Diffamierung, Beschimpfung und Verleumdung. Diese Feinde werden dadurch tötbar gemacht. Das ganze Buch zum Totalitarismus ist in einem der Denkräume auch präsent. Für „Auditorium Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ wurde es von einer Hundertschaft prominenter Zeitgenossinnen und Zeitgenossen vorgelesen, wobei jeder Person ein eigener Videomonitor zugeordnet ist – Arendt fand dabei so unterschiedliche Interpreten wie den konservativen Journalisten Roger Koeppel oder die linke Filmtheoretikerin Christine Noll-Brinckmann. Man kann sich in diesem Auditorium von Monitor zu Monitor durch das Buch bewegen, die gesamte Aufnahme hat eine Dauer von 45 Stunden und sprengt damit wohl jeden konkreten Denkraum.
Der einzige kontroverse Beitrag stammt von dem Tonbildhauer Volker März, der „Das Lager als Denkraum“ zeigt. 33 Figuren aus gebranntem und ungebranntem Ton hocken und liegen auf einem Industrieregal, die Assoziation zu den auf engstem Raum eingesperrten Menschen in den Konzentrationslagern wird durch die Skurrilität, mit der März viele Figuren im Detail ausstattet, gebrochen. Er bezieht sich auf eine frühere Arbeit, „Eichmann Raum“, die auf großen Widerstand stieß, weil darin eine Eichmann-Figur und ein authentisches Fundstück aus einem Konzentrationslager in ein Verhältnis gesetzt wurden, das vielen Beobachtern allzu offen schien. März geht bei seiner Arbeit zweifellos auch von der physiognomischen Attraktivität von Hannah Arendt aus, deren Erscheinung – wenn man sie etwa in dem Interview mit Günter Gaus einmal gesehen hat, das hier nicht fehlt – unvergesslich bleibt. Der Hannah-Arendt-Denkraum macht deutlich, wie sehr die gegenwärtigen Kunst von der Sprache und von einem Denken in Begriffen abhängt, wie sehr sie sich vielfach als Fortsetzung der Theorie mit spezifischen Mitteln begreift, als Ersatz- und Ergänzungsdiskurs.
Es wäre interessant gewesen, den Handlungsbegriff von Arendt einmal auf die Kunst selbst anzuwenden. Hier steht die Kunst eher im Dienste der Vermittlung – nicht von ungefähr gibt es auch einige ausgesprochen didaktische Räume. Martha Rosler hat das Kunstpublikum in Schauer, Käufer, Händler und Macher unterteilt – frei nach Hannah Arendt wäre dem noch die Gruppe der Handelnden hinzuzufügen, die sich aus diesen Denkräumen vermutlich aber erst einmal zu eingehenderer Lektüre verabschieden werden. BERT REBHANDL
Bis 19. November