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Archiv-Artikel

Nicht schlimmer als erwartet

RECHTSRUCK Die Republikaner erzielen die höchsten Zugewinne seit 70 Jahren, im Kongress gibt die Tea Party den Takt an, und die Kalifornier dürfen sich nicht mit einem Joint trösten

Die radikalsten Bewerber der Tea Party haben den Demokraten geholfen, ihre Senatsmehrheit zu halten

AUS WASHINGTON BERND PICKERT

Die große Überraschung, auf die die Demokraten bis zum Schluss gehofft hatten, ist ausgeblieben. Noch sind nicht alle Ergebnisse der Zwischenwahlen vom Dienstag bekannt, das Gesamtbild aber entspricht den Prognosen: Die Republikaner übernehmen die Kontrolle über das komplett neu gewählte Repräsentantenhaus. Die mindestens 61 neuen Sitze bedeuten für die Republikaner die größten Zugewinne seit 1938. Immerhin: Im Senat, wo 37 der 100 Sitze neu gewählt wurden, können die Demokraten die Mehrheit halten

In sechs Staaten – North Dakota, Wisconsin, Arkansas, Illinois, Indiana und Pennsylvania – konnten die Republikaner Senatssitze neu erobern. Der demokratische Mehrheitsführer Harry Reid allerdings, dessen Wahl in Nevada als besonders unsicher galt, verteidigte seinen Posten, ebenso die demokratische Senatorin Barbara Boxer in Kalifornien, die sich gegen die frühere Hewlett-Packard-Chefin Carly Fiorina durchsetzte.

In Kentucky, Florida und Utah gewannen mit Rand Paul, Marco Rubio und Mike Lee drei Kandidaten der Tea Party Senatssitze. Zusammen mit dem wiedergewählten Jim DeMint aus South Carolina werden sie den Kern der Tea Party im Senat bilden.

Noch offen ist das Ergebnis in Alaska. Hier hatte sich bei den republikanischen Vorwahlen der von der Tea Party und Sarah Palin unterstützte Joe Miller als Kandidat durchgesetzt; die bisherige republikanische Amtsinhabern Lisa Murkowski trat daraufhin als unabhängige Kandidatin an.

Von insgesamt 137 von der Tea Party unterstützten Kandidaten für Senat, Gouverneursämter und Repräsentantenhaus konnten sich nach den bisherigen Auszählungen 37 durchsetzen, 75 verloren, 18 sind noch nicht durch.

Doch der Einfluss der Tea Party und ihres Mantras des „Small Government“, also der Kürzung der Staatsausgaben und des Zugriffs der Bundesregierung auf Politik überhaupt, geht über diese reinen Zahlen hinaus: Nahezu alle republikanischen Kandidaten hatten diese zentralen Aussagen in ihren Wahlkämpfen übernommen. 39 Prozent der Wähler sagten, dass sie die Ziele der Tea Party unterstützen. Die Anhängerschaft der Tea Party gehören überwiegend der besser verdienenden Mittelschicht an, sind zu 90 Prozent weiß und überwiegend männlich.

Allerdings: Die radikalsten unter den Tea-Party-Leuten, die sich bei den Vorwahlen gegen das republikanische Establishment durchsetzen konnten, haben den Demokraten vermutlich dabei geholfen, ihre Mehrheit im Senat zu verteidigen. Sowohl Masturbationsgegnerin Christine O’Donnell in Delaware als auch Sharron Angle in Nevada verloren am Dienstag gegen ihre demokratischen Konkurrenten. Siegen konnten generell eher jene von der Tea Party unterstützten Kandidaten, die bereits über politische Erfahrung verfügten.

Durch die Machtverschiebung im Repräsentantenhaus wird der bisherige Minderheitsführer John Boehner die Demokratin Nancy Pelosi als Sprecherin des Hauses ablösen. Boehner gilt als jemand, der noch vergleichsweise gute Kontakte zur demokratischen Fraktion aufzubauen versucht hat, auch wenn er die republikanischen Reihen zusammengehalten hat. Der künftige republikanische Mehrheitsführer Eric Cantor hingegen hat bereits in der Wahlnacht erklärt, jetzt gehe es vor allem „darum, die Politik der anderen Seite zurückzuweisen“ und die Staatsausgaben zu senken. Beide benennen drei Dinge, die sie unmittelbar angehen wollen: die Gesundheitsreform rückgängig machen, die Staatsausgaben senken und die Steuererleichterungen der Bush-Ära, die bald auslaufen, verlängern.

Selbst wenn den Republikanern dazu die Macht fehlt, kann ihre Mehrheit dem Präsidenten das Regieren sehr schwer machen. Denn mit ihrer Stimmenmehrheit kontrollieren die Republikaner auch alle Ausschüsse, in denen Gesetze gemacht und vor allem über das Budget verhandelt wird. 1994 sorgte die republikanische Opposition in einer ähnlichen Lage dafür, dass überhaupt kein Haushalt beschlossen wurde und Präsident Bill Clinton mit Notmaßnahmen regieren musste.

Deutliche Zugewinne erzielten die Republikaner auch bei den Gouverneurswahlen. In zehn Bundesstaaten – darunter Kansas, Michigan und Pennsylvania – regieren künftig Republikaner, wo bis dato Demokraten die Gouverneure stellten. Für die Demokraten ist das besonders niederschmetternd, weil alle zehn Jahre nach der Volkszählung die Wahlbezirke neu zugeschnitten werden, wofür der Gouverneur zuständig ist. Die letzte Volkszählung hat gerade stattgefunden, und man kann davon ausgehen, dass der Neuzuschnitt die republikanische Mehrheit im Haus auf lange Zeit absichert. Dazu kommt, dass in Swing States wie Ohio die nächsten Präsidentschaftswahlen unter republikanischer Aufsicht stattfinden – wer sich an die Wahl George W. Bushs im Jahr 2000 in Florida erinnert, weiß, welche Bedeutung das haben kann.

In Kalifornien gewannen die Demokraten den zuvor von dem Republikaner Arnold Schwarzenegger gehaltenen Amtssitz. Hier hatte die republikanische Kandidatin Meg Whitman, die frühere eBay-Managerin, 140 Millionen Dollar aus eigener Tasche in den Wahlkampf gesteckt, um ihren demokratischen Konkurrenten Jerry Brown zu besiegen. Geklappt hat es nicht. Geklappt hat in Kalifornien auch nicht das Referendum über die Legalisierung von Marihuana: 56 Prozent stimmten dagegen.

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