Hau die Glocke!

OPEN AIR Das Schöneberger Rathaus ist 100 geworden – und leistete sich zum Geburtstag ein gewagtes Konzert: Elektro-Gefrickel plus Glockenläuten. Mit den richtigen Drogen hätte es gut werden können

100 Jahre Rathaus Schöneberg –bei diesem am Wochenende begangenen Jubiläumsfestakt schwang etwas mit, das dieser Tage zur Seltenheit geworden ist: die Beschwörung der deutsch-amerikanischen Freundschaft. Hier, genau an diesem Platz vor dem Rathaus, der heute so gar nicht mehr nach großer Weltpolitik aussieht, sprach John F. Kennedy einst seine berühmten Worte „Ich bin ein Berliner“. Und hier oben im Turm des Rathauses hängt eine Nachbildung der amerikanischen Freiheitsglocke, eine Schenkung der Amerikaner.

An Glocke und Freiheit sollte auch das Konzert „GlockenKlang“ gemahnen, das zum Abschluss der Rathaus-Feierlichkeiten am Sonntagabend vor dem Rathausplatz aufgeführt wurde. Man hat sich für diesen Event etwas Hochkonzeptuelles einfallen lassen und sich gedacht: Wie wäre es, diese Glockenthematik mit all ihren Konnotationen mit der elektronischen Musik kurzzuschließen, die in Berlin ja eine gewisse Bedeutung hat?

Gleich um die Ecke des Rathauses, in der Schwäbischen Straße, haben Tangerine Dream vor über 40 Jahren immerhin die elektronische Popmusik zumindest miterfunden – die Clubmusik von heute kann gewissermaßen also sagen: „Ich bin auch ein Berliner.“

Und so hat man fünf Elektronikmusiker aus verschiedenen Generationen unter der Anleitung des ehemaligen Tangerine-Dream-Mitglieds Steve Schroyder gebeten, eine Art elektronifiziertes Glockenkonzert im Tangerine-Dream-Gedächtnissound zu geben.

Purpurne Visionen

Das Rathaus wurde dazu blau-orange-purpurn illuminiert, fast so, als entstamme es einer der LSD-Visionen von Timothy Leary, mit dem Schroyder in den Siebzigern abhing. Einer der Musiker klopfte auf drei Glocken herum, während vier weitere auf Synthesizern und Samplern herumdrückten.

Vor einem durchweg etwas gesetzteren Publikum erklang dann eine für den vermeintlich ziemlich nüchternen Anlass „100 Jahre Rathaus“ ziemlich durchgeknallte Musik. Die Elektroniksuppe der fünf waberte wie verrückt, und der Glockenmann haute dazu tapfer weiter drauf. Steve Schroyder, der einstige Held bei Tangerine Dream, hat später damit begonnen, Erd- und Mondschwingungen musikalisch zu vertonen. Wenn man das weiß, versteht man vielleicht, warum er heute solch seichten New Age macht.

Einer im Publikum rief außer sich: „Aufhören!“ Vielleicht hatte er nicht die Drogen genommen, die diejenigen, denen es offensichtlich gefallen hat, intus haben mussten. ANDREAS HARTMANN