: Eine nicht ganz freie Frequenz für fast alle
FREIES RADIO Dudelfunk, linkes Bewegungsradio und experimentelle Sendungen aus der Bar 25: Seit Frühjahr gibt es den unkommerziellen Radiosender 88vier, das verschiedene Projekte verbindet
VON DAVID PACHALI
Der Sender steht auf dem Kreuzberger Postgiroamt. Zwar ist das Programm, das von hier aus versendet wird, nur in einigen Bezirken wirklich gut zu empfangen, doch ist es einigermaßen erstaunlich, dass es überhaupt geschieht: Seit Jahren kämpfen Berlins Radioaktivisten für eine Alternative zum üblichen Einheitsprogramm. Pfingsten dieses Jahres war es so weit. 88vier ging als unkommerzielles Lokalradio auf Sendung.
Auch in Berlin nun also: freies Radio. Die neue Welle ist ein Mischkanal, dem als Dachmarke der Name 88vier verpasst wurde. Darunter wurden all jene Projekte versammelt, die in der Berliner Radiolandschaft noch nicht – oder nicht mehr – vorkommen. Das sind der in Alex umgetaufte Offene Kanal, multicult.fm, der Nachfolger der abgeschalteten RBB-Welle Multikulti sowie der Ohrfunk, ein Hörfunkprojekt von Blinden und Sehschwachen. Des Weiteren gehören dazu die Radiogruppen mit piratistischem oder Netradio-Hintergrund: Pi-Radio, Twen FM, BLN.FM und Reboot.FM. 88vier ist damit mehr als ein Offener Kanal, aber weniger als das immer wieder geforderte „freie Kulturradio“ und ist auch nur zu bestimmten Zeiten zu empfangen.
Kraut und Rüben
„Kreatives Radio für Berlin“ verkünden seitdem die gemeinsamen Jingles, die die Medienanstalt Berlin-Brandenburg, die Veranstalterin der neuen Welle, produzieren ließ. Für den Radioaktivisten Johannes Wilms klingen sie nach „Kaufhausstimme“. Im Studio von Pi-Radio in der Lottumstraße geht die „Berliner Runde“ auf Sendung. Zu Gast ist Sängerin Susanna Berivan und Band. Mit Gitarre, Kontrabass und Mandoline hat sich die Band im kleinen Kellerlokal aufgebaut, den Drummer musste man zu Hause lassen, „aus Platz- und Lautstärkegründen.“
Johannes Wilms ist seit vielen Jahren bei Radioprojekten aktiv. Pi-Radio – „die unberechenbare Konstante“ – ist eine der Gruppen, die sich in den letzten Jahren immer wieder für temporäre Radioprojekte zusammenfanden. Es steht in der Traditionslinie aus Piratenfunk und alter Prenzlauer-Berg-Dissidenz. Johannes Wilms möchte kein Produkt verkaufen, keines, auf dem „kreatives Berlin“ steht.
„Das beste Erkennungszeichen eines Radios ist der Sound“, sagt Wilms. Doch 88vier klinge eher nach „Kraut und Rüben“. Bei den temporären Veranstaltungsradios der letzten Jahre hingegen sei ein eigener Sound bereits entstanden. Ein selbständiges freies Radio hält Wilms weiterhin für erstrebenswert. Dies stehe für redaktionelle Arbeit, die Querverbindungen und übergreifende Diskussionen schaffe, anders als als beim Offenen Kanal, wo einfach Sendezeiten aneinandergereiht werden. Die Medienanstalt hat es versäumt, unterschiedlichen Ansprüchen aller Beteiligten gerecht zu werden, meint Wilms.
Gerade die, die sich bislang für einen gemeinsamen Sender eingesetzt haben, senden bei „88vier“ nun nebeneinander her. Noch letztes Jahr hatten sie gemeinsam den Aufruf für ein „freies Kulturradio“ veröffentlicht. Es sollte sich an „all die Hörer, die seit der Abschaltung von Radio 100 nur noch Deutschlandfunk und Inforadio ertragen können“, richten. Doch durch das Ausschreibungsverfahren, bei dem die Gruppen einzeln vorsprachen und schließlich Sendefenster zugewiesen bekamen, sahen sich die beteiligten Gruppen gegeneinander ausgespielt. Streit untereinander kam hinzu. Die MABB, meinten einige weiter, wolle lediglich ihren unter Legitimationsdruck stehenden Offenen Kanal mit frischem Kulturprogramm und DJs in den Abendstunden aufmöbeln.
Großen Spielraum gibt es hier nicht. Denn eine auf Freie Radios passende Rechtsform ist im Berlin-Brandenburger Medienstaatsvertrag bislang nicht vorgesehen. Das ist auch ein Grund für die eigenwillige Konstruktion eines von der Medienanstalt betreuten Sendekombinats, in dessen Rahmen den Radioinitiativen „nichtkommerzielle Programmschienen“ zugewiesen werden. Bei Pi-Radio will man sich nun darauf konzentrieren, mehr Sendezeit zu erhalten, bestätigt Organisator Paul Motikat.
Ein Programm mit Wiedererkennungswert mag auch Pit Schultz, Gründer von Reboot.fm, nicht erkennen. Auch er ist seit Langem in der Radioszene aktiv, baute Netzradios auf, streamte aus Berliner Clubs und arbeitete am konzeptuellen Überbau. Der ist bei Reboot.fm weniger an Vorstellungen von linkem Bewegungsradio ausgerichtet. Eher schon soll es den kreativen Output der Stadt auch im Radio repräsentieren. Vor allem das internationale Aushängeschild: elektronische Musik. Es gebe eine „wahnsinnige Bereitschaft“ in der Radioszene, auf experimentellem, aber hohem Niveau Sendungen zu machen. Man plane zum Beispiel ein weiteres Stadtteilradio mit einem Neuköllner Studio und weitere Kooperationen, etwa mit den Machern der Bar 25.
Ein runder Tisch der Radiogruppen mit dem Medienrat könne dafür neue Modelle finden, meint Schultz. Mit dem – gebührenfinanzierten – Alex-Programm sei niemand wirklich zufrieden. Als Feigenblatt medialer Vielfalt werde aber weiter an diesem alten Bürgerfunkmodell festgehalten – auch wenn dabei nichts anderes als „Abschaltradio“ herauskomme.
„Eine pragmatische Lösung wäre es, die Satzung des Offenen Kanals neu zu schreiben“, meint Schultz. Wenn das zunächst auf ein Jahr angelegte Pilotprojekt nächstes Jahr ausläuft, geht es für die Radioinitiativen in die nächste Runde. Wie die aussieht, ist offen. „Es ist schade, dass man in Berlin nicht sieht, woraus die Stadt ihre Identität schöpft“, sagt Pit Schultz.