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Archiv-Artikel

Von Rom ist es nicht weit bis Amerika

Martin Scorsese besucht das Filmfestival in Rom, um seinen neuen Spielfilm „The Departed“ vorzustellen, die Adaption eines Hongkong-Triaden-Films von Johnnie To. Außerdem macht er Werbung für seine Film Foundation, mit der er sich um die Restaurierung von Filmen wie „Il Gattopardo“ bemüht

von BARBARA SCHWEIZERHOF

An Selbstbewusstsein mangelt es nicht. Man feiert sich selbst mit dem Stolz des I-Tüpfelchens: War es nicht gerade das, was noch gefehlt hat in Europa – ein Filmfestival in Rom, der Stadt, deren Filmstudios einst zu den wichtigsten Produktionsstätten des Weltkinos zählten? Als Festivaltrailer wird hier folgerichtig keine Fanfaren-Animation gezeigt wie in Berlin oder Cannes, auch kein Trickfilm wie in Venedig, sondern schönes schwarz-weißes Archivmaterial: Filmstars, wie sie in Rom ankommen und bejubelt werden, darunter Gregory Peck, Audrey Hepburn, Cary Grant, Clark Gable. Man sieht schnell, was hier besonders gefeiert wird: die von den Italienern sehr innig empfundene Verwandtschaftsbeziehung zwischen ihrem und dem amerikanischen Kino.

Bei dieser Feier darf einer nicht fehlen: Martin Scorsese, der umgekehrt nicht müde wird, seine Verbundenheit mit dem italienischen Kino auszudrücken. Zum großen Glück für das neue Festival bringt er einen Film mit, der das breite Publikum begeistert. „The Departed“ wurde in Rom mit Standing Ovations begrüßt. Dementsprechend gut gelaunt stellte sich Scorsese mit Hauptdarsteller Leonardo DiCaprio dem Filmgespräch, bei dem ihm mit Fragen gehuldigt wurde wie: Wie schaffen Sie das bloß – ein Meisterwerk nach dem anderen? Worauf Scorsese mit amerikanischer Sachlichkeit antwortete: Man brauche ein gutes Team, entsprechende Gelder und Inspiration.

Tatsächlich kam Scorsese Talent fürs pragmatische, schnörkellose Erzählen schon lange nicht mehr so zur Geltung. Die Ausgangssituation, die sich sehr genau am Hongkong-Original „Infernal Affairs“ (Regie: Johnnie To) orientiert, scheint auf den ersten Blick fast formalistisch simpel: Ein Spitzel der irischen Mafia unterwandert die Polizei, während einer der Polizei die irische Mafia infiltriert. Bald sind sie sich gegenseitig auf der Spur. Matt Damon spielt Collin Sullivan, dessen Ausbildung bis hin zur Polizeischule vom Kopf der irischen Mafia, Frank Costello (Jack Nicholson), gefördert wird. Bei der Polizei steigt er unweigerlich auf, bis ihm der geheimste aller Aufträge anvertraut wird: den Maulwurf im eigenen System zu finden. Leonardo DiCaprio auf der anderen Seite spielt Billy Costigan, den Sohn einer Mafiafamilie, der die Seiten wechseln will und deshalb Polizist wird. Am Ende der Ausbildung aber wird er rausgeschmissen – um in noch geheimerem Auftrag die irische Mafia zu unterwandern.

„The Departed“ ist ein Film mit dem Gefühl von Zeitschach: Zug folgt auf Zug unter ständigem Druck der innerlich tickenden Uhr. Die Geschichte nimmt so viele Wendungen, dass die 150 Minuten wie im Flug vergehen. Ähnlich schnell sind mit der Aufführung die bösen Stimmen verstummt, die im Vorfeld des Festivals munkelten, Scorsese habe sich seine Romreise teuer bezahlen lassen: Bis zu 750.000 Euro sollen ihm aus Töpfen des römischen Festivals für seine Film Foundation versprochen worden sein. Über Zahlen redet während des Festivals jedoch niemand, hier spricht man nur von Kooperation und Synergie-Effekt.

Und ähnlich lang erwartet und selbstverständlich wie das neue Festival selbst erscheint es, dass Scorsese hier vors Publikum tritt, um die Geschichte seiner Film Foundation zu erzählen. Für die nämlich hat das italienische Kino eine besondere Bewandtnis: Es sei die Unmöglichkeit gewesen, an Filmkopien von Luchino Viscontis „Il Gattopardo“ (1963) und Sergio Leones „C’era una volta il West“ (1968) heranzukommen, die ihn die Wichtigkeit der Filmrestaurierung habe erkennen lassen.

Scorseses Vortrag in Anekdoten erweist sich als kundige Einführung in die verschiedenen Problemlagen des Projekts. Was passiert, wenn eine japanische Firma ein amerikanisches Studio samt Filmlager kauft? Wie kann man sicher gehen, dass politisch unliebsames Material im internationalen Transfer nicht einfach verschwindet, dass die Integrität der Filme gewahrt bleibt? Was überhaupt ist das, die Originalkopie – die letzte Schnittfassung des Studios? Und wenn die großen Meisterwerke restauriert sind, wie wählt man die „minderen“ Filme aus, deren Meisterwerkstatus erst in 50 Jahren erkannt wird?

„C’era una volta il West“, so erzählt Scorsese weiter, habe er beim ersten Sehen 1968 noch nicht verstanden. Erst als der Film in verstümmelter Fassung wenige Jahre später im amerikanischen Fernsehen kam, habe er das Opernhafte bei Leone schätzen gelernt. Die Suche nach einer vollständigen Kopie wuchs sich zur Gralsprüfung aus, auf deren Weg exzentrischen 16-mm-Fetischisten der Hof gemacht werden musste. Doch mittlerweile ist der Gral gefunden: Nächstes Jahr soll in Rom die restaurierte Fassung präsentiert werden.