piwik no script img

Archiv-Artikel

Keine geographische Correctness

Häufigste geometrische Form ist die Hyperbel: Caspar David Friedrich, dem die Hamburger Kunsthalle derzeit eine große Ausstellung widmet, kalkulierte die Wirkung seiner Bilder mit Bedacht. Und schuf so Bilder, die urwüchsige Natur suggerieren, meist aber frei aus Versatzstücken zusammengesetzt sind

Fremd und isoliert stehen die Menschen vor der Natur. Wirklich mit ihr in Kontakt kommen werden sie nicht

von Petra Schellen

Der Betrachter ist frei zu schauen, wohin er will. Von links nach rechts, von oben nach unten – doch wenn man genau ist, stimmt das nicht. Caspar David Friedrich lenkt den Blick sehr gezielt durch seine Bilder, und er tut dies keineswegs so absichtslos, wie es zunächst scheint. Denn seine romantischen Landschaften sind – und das ist nicht neu – keine originalgetreuen Abbilder von Regionen oder Städten, sondern wurden sorgsam in Szene gesetzt und mit Symbolen ausgestattet: Mit Wanderern, Schiffen und Ruinen bestückt, die jede Gothic Novel illustrieren könnten.

Doch Caspar David Friedrich erzählt keine Geschichten, sondern konstruiert sehr kühl: Aus einem Fundus von Versatzstücken hat Friedrich seine Bilder zusammengesetzt, und um nicht in abgestandenen religiösen Deutungen hängen zu bleiben, hat man die 70 Gemälde und 125 Graphiken umfassende Schau in der Hamburger Kunsthalle im Untertitel „Die Erfindung der Romantik“ genannt. Womit nicht das naive Schwelgen in Mitleid und ähnlichen der Romantik zugeschriebenen Empfindungen gemeint ist. Sondern das Revival des geheimnisumwitterten Naturbildes – als Antipode zur naturwissenschaftlichen Perspektive der Aufklärung.

Doch Friedrichs Landschaften wirken nur urwüchsig. Akribische Geometrie liegt ihnen zugrunde; die meistverwendete Form ist die Hyperbel und die streng symmetrische Mittelachse. Man hört es und begreift: Vorbei ist es mit dem Sich-Wohlfühlen in der Greifswald-Ansicht, vorbei mit dem wohlig-wiedererkennenden Sich-Hineinsinkenlassen in die „Kreidefelsen auf Rügen“, die Friedrich vielleicht nie sah. Von Abbildungen abgemalt, teils frei erfunden, nicht authentisch.

Doch dieser Vorwurf hätte Friedrich nicht getroffen: Er wollte keine geographische Correctness. Hätte er sonst seine Heimatstadt Greifswald einmal – korrekt, mit Wiesen, und einmal mit Wasser im Vordergrund gemalt? Nein, fabulieren wollte der Maler, wollte durch dramatische Inszenierungen von Mondschein- oder Sonnenaufgangs-Landschaften seine Visionen illustrieren. Die einer Mondnacht, die ein winziger Lichtstrahl durchbricht. Die zweier Kirchen, die wie ein mahnender Pfosten an der Schwelle zum Jenseits am Ufer stehen. Eine mittige Symmetrieachse zieht sich durch die „Stadt bei Mondaufgang“; kaum wahrscheinlich, dass die zwei Kirchtürme so exakt die Blickachse rahmen.

Und die Schiffe auf den vielen Bildern, die mit auf den Felsen sitzenden Figuren garniert sind: Wo hätten sie anlanden sollen, wenn nicht im Morast oder an den Felsen, aus denen das Ufer besteht? Welches Ziel haben sie, und von wo sind sie gekommen? Und segelt es sich wirklich so hart am Wind wie auf „Mondnacht am Strand“, wenige Meter vom Ufer entfernt? Nein, diese Boote wurden nur der Zuschauer wegen aufs Wasser gesetzt, als Reflexionsfläche für die gut Gekleideten am Ufer. Wer mag, kann auch die Lebensalter der Schauenden in den verschieden großen Schiffen sehen. Doch eins steht fest: Erreich- oder gar betretbar sind diese Schiffe nicht, sondern zur fast abstrakten Form geworden.

Und die wenigen Menschen auf Friedrichs Bildern? Wie Staffage wirken die nachdenklich an Ufern oder auf Bergen Stehenden. Die Ferne, in die sie schauen, werden sie nie erreichen: Wie sollten sie – winzig inmitten der Natur – auch die Schlucht überwinden, die sich in „Frühschnee“ hinter der Bergkuppe auftut? Wie zu den Tannen hinter dem Wasserfall vordringen, ohne schon am Weg zu scheitern? Das Idyll bleibt unerreichbar, und so heimelig die Bilder anfangs schienen, so verrätselt werden sie bei näherem Hinsehen: Fremd und isoliert steht der Mensch vor der Natur, ohne wirklich mit ihr in Berührung zu kommen. Denn welche Erkenntnis hat das Balancieren über Stock und Stein dem Wanderer über dem Nebelmeer gebracht? Jetzt steht er auf dem höchsten Felsen und blickt auf andere Gipfel, von Nebel verhüllt, der materieller zu sein scheint als das Gebirge.

Und wo führen sie hin, die vielen Friedrich’schen Tore und Durchgänge? Als Durchgang zur Erkenntnis sind sie oft gedeutet worden. Eine leuchtende Zukunft schienen die Sonnenaufgänge zu prophezeien. Ein bisschen fühlt man hier sich an kommunistische Propaganda-Plakate erinnert, auf denen Menschen – allerdings in Vorderansicht – fröhlich nach vorn blicken.

Doch so leicht deutbar ist Friedrich nicht – auch nicht, wenn man sich an religiösen Erklärungen versucht. Denn er war Protestant und nutzte die aus dem Barock gebliebenen christlichen Symbole nur sparsam; es dominieren Kreuz, Ruinen und Gräber – Insignien der Vergänglichkeit eben. Auch die These, er habe den Freimaurern angehört und den Lebens- als Erkenntnisweg interpretiert und gemalt, ist nur eine unter vielen.

Tatsache ist, dass Friedrichs Bilder letztlich hermetisch bleiben. Dass sie als gelungene Mixtur aus Konstruktion und kalkulierter Wirkung daherkommen. Und doch gestalten sich Friedrichs Zerlegung und Neukonstruktion von Natur anders als bei den Dekonstruktivisten: Schwer begreifbar wirkt die Kombination akribischer Pflanzen- und Felsstudien einerseits und der immer neuen, fast beliebigen Neukomposition dieser Teile.

Nichts Neues also über Caspar David Friedrich in der Schau, die schon bei ihrer Station in Essen gepriesen wurde? Nicht essenziell. Aber sie frischt Bekanntes auf. Und lässt schärfer schauen.

Die Ausstellung ist bis zum 28. Januar 2007 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen