: Brutale Gewalt ohne Hintergrund
Im Verfahren um den Angriff auf einen Togoer in Wismar im April belastet ein Angeklagter die anderen schwer. Bei den Ermittlungen spielen mögliche rassistische Motive kaum eine Rolle, kritisiert die Opferberatung
Die Geschehnisse werden Kudzo Agbevohia immer verfolgen. Kopfschmerzen plagen ihn auch Monate nach dem Angriff. Das Erinnern fällt ihm noch immer schwer. Am 25. April griffen drei Männer in Wismar den Togoer an. Durch ihre Tritte erlitt ihr Opfer ein schweres Schädel-Hirn Trauma. Vor dem Amtsgericht Wismar läuft seit dem 28. August die Verhandlung wegen „gefährlicher Körperverletzung“.
Zwei Verhandlungstage waren angesetzt, doch am Montag fand nun schon der vierte Gerichtstermin statt, zwei sollen noch folgen. Den Verhandlungen wohnt Agbevohia bewusst bei. Er tritt als Nebenkläger auf. Sein Anwalt Oliver Tolmein muss ihn aber auch vor den Verteidigern der Angeklagten schützen, die versuchen sein Verhalten als „provozierend“ darzustellen. Sie erwähnten etwa, dass er an jenem Abend einen Umweg ging, statt auf direktem Weg nach Haus. „Ja, um nicht durch dunkle Nebengassen gehen zu müssen“, muss sich Agbevohia rechtfertigen, der vorher schon zweimal angegriffen wurde.
Doch der heranwachsende Angeklagte Roger S. belastete die Mitangeklagten schwer. Demnach hatten sie gegen viertel vor elf Agbevohia auf dem Rudolf-Karstadt-Platz umringt. Nach Beschimpfungen und Schlägen lag ihr Opfer am Boden. Tritte auf den Kopf folgten. Als zwei Frauen zu Hilfe eilten, rannten die drei Männer weg.
Den Verdacht eines rassistischen Hintergrunds versuchte S. mit den Worten zu zerstreuen: „Ich bin zwar Deutscher, aber ich habe nichts gegen Ausländer.“ Mike Hartwig von der „Landesweiten Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern e. V.“ (LOBBI) kritisiert: „Bisher hat das Gericht sich kaum bemüht die Tatmotive herauszuarbeiten.“ Der ermittelnde Polizeibeamte sagte vor Gericht aus, „keine rassistischen Motive“ festgestellt zu haben. Die Staatsanwaltschaft erklärte schon vor der Verhandlung, dass die Täter im Alter von 19 bis 24 Jahren „nicht in der rechten Szene verankert“ seien. Für Hartwig ist das kein besonders aussagekräftiges Faktum: „Die wenigsten rassistischen Übergriffe begehen Mitglieder neonazistischer Organisationen“, ist die Erfahrung aus seiner Arbeit. Läuft die Verhandlung so weiter, fürchtet Hartwig, dann hat „das Opfer die Gewissheit in einen Land zu leben, dessen Repräsentanten darauf bedacht sind den Rechtsextremismus zu bekämpfen, indem sie ihn immer dann negieren, wenn er sichtbar wird in Form von Gewalt“. ANDREAS SPEIT