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Archiv-Artikel

Fasziniertsein vom eigenen Nichtverstehen

FREMDE KULTUREN Schreiben kann Franka Potente – beim Sichwundern könnte die Schauspielerin und nun eben auch Schriftstellerin allerdings noch einiges zulegen: der Kurzgeschichtenband „Zehn“

Franka Potente schreibt über Japan so, wie ein deutscher Gärtner einen Steingarten baut

Wenn das Wundern verklungen ist, bleibt die schöne, schlichte Sprache. Wenn man sich darauf einlässt, dass hier das Glamourgirl des deutschen Films plötzlich eine Schriftstellerin ist, muss man zugeben: Die kann schreiben, ziemlich gut sogar, die Franka Potente.

„Zehn“ heißt ihr literarisches Debüt. Dabei: Ein Buch hat sie schon im vergangenen Jahr herausgebracht, eins über Fitness mit dem schönen Titel „Kick Ass“. Und ein paar Jahre davor ein Tagebuch in Briefform, in der sie ihr erstes Jahr in Hollywood beschreibt.

Schon das, die Briefsammlung der Neuamerikanerin, nicht der Fitnessführer, war ziemlich gelungen. Da schreibt eine, die gut hinsehen kann, sehr gut auf, wie sich das anfühlt, wenn man plötzlich in ein fremdes Land versetzt wird, wenn Kulturen sich aneinanderreiben.

Mit „Zehn“ versucht Potente eigentlich dasselbe. Nur dass es sie in ihren zehn Kurzgeschichten diesmal nach Japan zieht. Nur dass sie niemals in Japan gelebt hat, sondern das Land bloß von Dreharbeiten und Reisen kennt. Und dass sie die Perspektive wechselt. Statt von sich zu schreiben, von einer Europäerin in der Fremde, schlüpft sie in japanische Figuren. Der sterbende alte Mann, die depressive Hausfrau, das junge Paar kurz vor der Geburt seines ersten Kindes, sie alle stehen in Konflikten zwischen Tradition und Moderne, zwischen rigiden Moralvorstellungen und libertären Sehnsüchten.

Japan repräsentiert dabei stets das Alte, Überkommene, die westlichen Einflüsse dagegen das Wilde, Begehrenswerte. Am deutlichsten in den beiden Geschichten, in denen Ausländer vorkommen. In „Götterwinde“ findet die vereinsamte Fächerverkäuferin Trost bei einem Geschäftsmann aus Deutschland, weil der sich über ihre emotionale Spröde schon aus Unwissenheit hinwegsetzt. Und in „Das schwedische Haar“ verliebt sich ein schüchterner Japaner in eine lebenslustige Schwedin, hat erstaunlich ekstatischen Sex und dann doch keinen Mut, seinen japanischen Charakter abzulegen.

Japaner sind steife Gesellen bei Potente, mit einem Gefühlshaushalt auf Sparflamme und eingesperrt in die japanischen Konventionen. Tatsächlich ist das ja auch der vorherrschende Eindruck, den man als Mitteleuropäer so gewinnt: Wie halten die das bloß aus?

Potente staunt da genauso wie jeder Fremde, der nach Japan kommt. Doch als aufgeklärte Weltenbummlerin möchte sie Japan verstehen, aber sie versteht Japan nicht. Dafür findet sie Japan ungemein faszinierend. Nur scheint sie selbst nicht zu wissen, was genau sie faszinierend findet: tatsächlich Japan? Oder doch eher das eigene Nichtverstehen?

Doch darüber schreibt sie nicht. Stattdessen erfindet sie Konflikte, die ein Japaner wahrscheinlich gar nicht hat. Dazu übernimmt sie die Regie über die Sichtweise ihrer Figuren, schreibt ihnen innere Monologe, in denen dann eine seltsame Verschiebung stattfindet: Von Konflikten, die sie gar nicht benennen könnten, erzählen uns nun Japaner, weil wir meinen, sie müssten diese Konflikte aber haben.

Oder anders: Potente schreibt über Japan so, wie ein deutscher Gärtner einen japanischen Steingarten baut. Auch der hält sich an die klaren Linien, studiert die simplen Strukturen, vertieft sich vielleicht sogar in Fachbegriffe und die Philosophie hinter dem Ganzen. Er nimmt die fremde Kultur ernst, er müht sich, aber in erster Linie findet er, so ein Steingarten sieht doch toll aus. Der deutsche Gärtner wird sich niemals in seinen Garten stellen und wie ein japanischer Mönch stundenlang den Kies rechen und meditieren. Und wenn er es täte, wäre es immer noch nicht das Gleiche.

Der deutsche Gärtner kann jeden Kieselstein korrekt ausrichten, aber er wird nicht das Wesen des Gartens verstehen können. Potente beschreibt sehr schön die Rituale der japanischen Kultur. Die japanischen Begriffe, die sie immer wieder benutzt, sind sicherlich alle akkurat, aber ihre Protagonisten denken wie eine Europäerin, sie sind, seien wir ehrlich, Franka Potente, die sich selbst Schlitzaugen ins Gesicht geschminkt hat.

Die Folge: Mit ihren wunderschönen, einfachen, klaren Sätzen erschafft die Schriftstellerin Potente Menschen, deren emotionale Komplexität sich zum realen Gefühlsleben eines echten Japaners ungefähr so verhält wie ein Fischbrötchen zur Sushi-Mahlzeit. Viel lieber würde man deshalb von Franka Potente demnächst mal etwas lesen, in dem sie sich über etwas wundert, über das zu wundern ihr nicht ganz so leicht fiele.

THOMAS WINKLER

Franka Potente: „Zehn“. Piper, München 2010, 164 Seiten, 16,95 Euro