: KUNST
NOEMI MOLITOR
Was soll eigentlich dieser herbeigeredete Überlebenskampf der Malerei? Zunächst wurde ihr nachgesagt, sie sei von der Fotografie abgelöst worden. Dann ihr großes Comeback durch die action painter, die die Leinwand mit Farbe überschütteten und abstrakte Farbfelder erzeugten wie Jackson Pollock oder gleich ganze Häuserwände samt Fenstern übersprühen, wie es Katharina Grosse heute tut. Wie anziehend das Medium Farbe an sich ist, wird bei all diesen Geschichten ihrer Krise und Wiedergeburt oft vergessen. Viele Maler_innen treibt das Verlangen, das Wesen der Farbe selbst zu erfassen, sie nicht zum Mittel, sondern zum Gegenstand werden zu lassen. Die größte Sehnsucht, so hat es einmal Roland Kurzmeyer gesagt, ist, dass sie eines Tages ohne Träger für sich stehen kann. Auch der Titel der Gruppenausstellung „Wet Paint“ bei Dittrich und Schlechtriem lässt diese Fantasie der flüssig bleibenden Farbe anklingen (bis 26.4, Di–Sa, 11–18, Tucholskystr. 38). Zwar ist in diesem Fall „Frisch gestrichen“ gemeint, neue Ansätze in der Malerei sollen hier gezeigt werden, aber einige der Positionen sind mindestens so aufregend wie Farbe um der Farbe willen. Stefan Behlau zum Beispiel lässt eine Gallone Wandfarbe auf die Leinwand gleiten und streicht das Innere mit einem Spachtel bis zum unteren Bildrand aus. Das Ergebnis ist ein haptischer Abdruck mit intakten abgerundeten Außenrändern, so als sei die Farbe im Moment des Ausschüttens gefroren. Elmar Vestner hat in „Gas“ einen Waldauschnitt aus einem Magazin mit schwarzer Farbe übersprüht und anschließend weggeätzt. Die Bäume, die wieder zum Vorschein kommen, sind plötzlich weiß: die Malfarbe transformiert die Druckfarbe mit ästhetisch eindringlicher Wirkung. In „Point Black“ bearbeitet Tyra Tingleff unbehandelte Leinwand mit Schaumstoffrollen und Terpentin, sodass eine Tiefe von Farbschichten und Leerstellen entsteht. Ihr Bild wirkt wie ein Portal zu Markus Manowskis „Nothing Can go Wrong“-Ausstellung im L’Atelier-ksr. Manowski treibt weiter, was Tingleff abstrakt vorlegt, seine Personengruppen werden selbst zur Farbe: sie legt sich über Akte wie eine zweite Haut. Dann wieder sind die Schleifspuren seiner Pinsel so organisch in die Kleidung der Figuren integriert, dass sie genauso wichtig werden wie die Geschichten, die sich zwischen den Menschen und Tierwesen abspielen. Die meisten seiner Gesichter brauchen nicht einmal Augen, ihr Ausdruck ist so durchzogen von der abgedunkelten Farbpalette, dass sie sich immer wieder aus der Düsternis hinausbewegen, die hier mitschwingt (bis 3.5., Do–Sa, 14–19, Großbeerenstr. 34).