: Rechte gewinnen Fußball-WM
Während der WM stieg die Zahl rechtsextremer Straftaten. Kritiker befürchten manipulierte Daten und fordern unabhängige Beobachter und eine Stärkung der Aufklärung gegen rechts
VON HOLGER PAULER
Während der WM hat sich etwas gedreht in NRW – nach rechts. Die Zahl rechtsextremer Straftaten lag im Juni mit 253 um bis zu 30 Prozent höher als in den übrigen Monaten. Die Fußballweltmeisterschaft, die vom 9. Juni bis zum 9. Juli 2006 in Deutschland stattfand, war wohl doch nicht so ruhig wie behauptet. NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) hatte Ende September bei der Vorstellung des Zwischenberichts des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes noch gesagt, die Rechtsextremen seien „die großen Verlierer“ der WM gewesen. Auch Ministeriumssprecher Ludger Harmeier will da nicht widersprechen: „Die Zahlen haben keinen Bezug zur WM.“ Vielleicht habe es ja am guten Biergartenwetter gelegen. Oder auch nicht. In den Vorjahren war es im Juni eher ruhig.
„Der Minister hat sich wohl seine eigene Wahrheit geschaffen“, sagt die Dortmunder Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linkspartei). „Bundes- und Landeskriminalämter, Ministerien und Verfassungsschutz manipulieren ihre Zahlen permanent.“ Aus diesem Grund fordere die Linkspartei seit acht Jahren eine unabhängige Beobachtungsstelle für die rechtsextreme Szene (siehe Interview). Bis es so weit ist, gibt es monatliche Anfragen im Bundestag zum Thema Rechtsextremismus. „Überflüssig“, sagt Monika Düker, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag. „Wir wissen genug über die Szene, wir müssen nur die richtigen Schlüsse daraus ziehen.“
Ein Anstieg rechtsextremer Straftaten in NRW sei seit 2003 zu beobachten. „Das lässt sich nicht allein auf das Anzeigeverhalten zurückführen“, so Düker. Nicht nur die Propagandadelikte, sondern auch die Gewalttaten hätten zugenommen – im letzteren Fall von 57 in den ersten acht Monaten des Jahres 2005 auf 92 im Vergleichszeitraum des laufenden Jahres. „Mit Aufrufen und Appellen kommen wir da nicht mehr weiter“, sagt Düker. Gerade in den Schulen müsse Demokratie in Theorie und Praxis gelehrt werden. „Im jugendlichen Alter werden die Grundlagen gelegt.“
Eine Tatsache, die auch die extreme Rechte für sich entdeckt hat. Im vergangene Jahr wurden von der NPD CDs mit rechtsextremen Inhalt auf den Schulhöfen der Republik verteilt. Die Botschaften zielten auf Schüler, die sich von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen: „Lasst euch nicht länger von den Etablierten verarschen“ oder „Wir verschaffen den Interessen der Jugendlichen Gehör“, war dort zu hören und zu lesen.
Das Problem der rechtsextremen Gewalt hat jedenfalls die nordrhein-westfälische Öffentlichkeit aufgeschreckt. „Diese Entwicklung ist nicht nur in den neuen Bundesländern anzutreffen, sondern wird auch in Nordrhein-Westfalen durch neonazistische Kneipen, Jugendclubs oder Militaria-Geschäfte deutlich“, sagte der DGB-Landesvorsitzende Guntram Schneider. Er halte daher die im Landeshaushalte vorgesehene Streichung bei der Förderung der politischen Bildungsarbeit nicht nur unverständlich, sondern auch für „gesellschaftspolitisch gefährlich“. 1.500 erfolgreiche Initiativen gegen den Neonazismus seien gefährdet.
Die extreme Rechte ist auch im Westen auf dem „Vormarsch“. „Sicher wirken die Erfolge der NPD bei den Landtagswahlen in Sachsen und kürzlich in Mecklenburg-Vorpommern stimulierend“, sagte Alfred Schobert, Rechtsextremismus-Experte beim Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS). Es sei deutlich spürbar, dass die NPD „rabiater“ werde. Der Unterschied zwischen Nationaldemokraten und den militanten Neonazis der so genannten freien Kameradschaften verwische immer mehr. „Bei den Aufmärschen agieren sie gemeinsam und auf den Kandidatenlisten der NPD taucht Kameradschafts-Personal auf“, so Schobert. Auch das gescheiterte Verbotsverfahren gegen die „parteiförmig organisierte Kampftruppe namens NPD“ habe die Szene weiter motiviert. Die V-Leute des Verfassungsschutzes und die Innenminister, die diese decken, hatten dabei eine eher unrühmliche Rolle gespielt.