: Natürlich ärgere ich mich über die taz
VON DRÜBEN „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann war einst einen Tag lang für die taz verantwortlich, ist Genossenschaftsmitglied und fragt sich, was aus dem Relief am Haus wird, wenn Redaktion und Verlag umziehen
49, ist seit 2001 Chefredakteur der Bild. Damit ist der Bielefelder, der zuvor bereits die ebenfalls zu Axel Springer gehörende Welt am Sonntag leitete, der mit Abstand am längsten amtierende Chef in der Geschichte der Boulevardzeitung. 2002 hatte er die taz wegen eines satirischen Artikels verklagt, die daraufhin ein Unterlassungsurteil hinnehmen, Diekmann aber kein Schmerzensgeld zahlen musste. Als die taz 2003 ihre „Lieblingsfeinde“ das Blatt gestalten ließ, war Diekmann für einen Tag taz-Chefredakteur. Seit 2009 ist Diekmann Mitglied der taz-Genossenschaft. Seit dem Jahr hängt auch Peter Lenks Relief „Friede sei mit dir“, das Diekmann karikiert, am taz-Haus.
INTERVIEW JÜRN KRUSE
taz: Herr Diekmann, die taz wird 35 …
Kai Diekmann: Die taz wird doch nicht 35. Dann rechnen Sie falsch. Als ich zum 25. Jubiläum Chefredakteur der Geburtstags-taz sein durfte, war das im September 2003. Die taz wird also 36. Wollen wir wetten?
Diekmann steht auf, kramt in seinem Schrank und holt die Sonderausgabe mit der Titelschlagzeile „Heute gibt’s Kohl“ hervor und legt sie auf den Tisch. Sie ist von 27. September 2003.
Diekmann: Ha! So viel dazu.
taz: Die 25 Jahre damals wurden gezählt ab der Nullnummer im Jahr 1978. Erst ein gutes halbes Jahr später, am 17. April 1979, erschien dann aber die Erstausgabe der täglichen taz.
Aber den 25. Geburtstag haben Sie trotzdem im Herbst 2003 gefeiert.
Wir haben zwei Geburtstage.
Und wir haben beide recht.
Wie viel wollen Sie als Genosse eigentlich in das neue Haus investieren?
Ich habe gerade den Investitionsaufruf von Ihnen bekommen, habe aber noch eine Frage: Wenn Ihr neuer Chefredakteur sogar eine eigene Dusche bekommt, muss doch auch Geld für Kunst am Bau da sein: Also was wird aus mir? Was wird aus meinem Denkmal am Haus?
Ist das eigentlich ein Karma-Ausgleich, den sie mit Ihren taz-Genossenschaftsanteilen betreiben?
Nein. Ich habe immer gesagt, dass es in Deutschland zwei maßgebliche Boulevardzeitungen gibt: eine ganz große – Bild – und eine kleine – die taz. Und wenn jemand von der großen die kleine unterstützen kann, dann sollte er das tun. Außerdem hat mir das Chefredakteursein zum 25. Geburtstag der taz sehr viel Spaß gemacht. Ich fühle mich von der Genossenschaft gut behandelt – und auch großartig informiert. Ich lese die Genossenschaftsinfos immer.
Und lesen Sie auch die taz?
Ja. Regelmäßig. Außerdem bekommen Sie ja bald das gleiche Redaktionssystem wie wir. Was für uns gut ist, ist auch für Sie gut. Wieder ein Stück mehr Gemeinsamkeit.
Ärgern Sie sich nicht über die Inhalte? Schließlich stehen Sie politisch dort, und wir stehen politisch hier.
Natürlich ärgere ich mich manchmal. Genauso wie Sie und Ihre Kollegen sich – vermute ich mal – auch über Inhalte in Bild ärgern. Aber dazu ist eine Zeitung ja auch da: Man will ja nicht alles darin gut finden, sondern sich auch an bestimmten Dingen reiben. Aber ich lese die taz auch häufig mit sehr viel Genuss. Ich fand, dass am vergangenen Montag viel Wahres drinstand über das geplante Gesetz zur Bestrafung von bloßstellenden Fotos. Auch mit einer guten Aufmachung auf der Seite eins. Es gibt häufig Schlagzeilen und Karikaturen, an denen ich viel Spaß habe. Manchmal schalte ich mich ja auch ein. Schade umso mehr, dass auf meinen letzten kritischen Leserbrief gar nicht reagiert wurde, da hätte ich mehr Mut von meiner taz erwartet.
Wie bekomme ich als Zeitung heute eigentlich die vielen verschiedenen Publika – Printleser, Websitebesucher, Social-Media-Nutzer – unter einen Hut?
Muss ich sie denn überhaupt unter einen Hut bekommen? Eigentlich geben uns die verschiedenen Kanäle ja die Möglichkeit, zielgruppenspezifisch zu arbeiten. Ich weiß zum Beispiel, dass bestimmte Themen in der Zeitung besonders gut funktionieren: Renten, Pensionen, Lebensversicherungen, Immobilien. Das hat im Blatt einen größeren Zuspruch als online. Warum? Weil es ganz viele von meiner Sorte gibt: 50 plus und mit der Oberfläche Papier medial sozialisiert. Auf der anderen Seite gab es im vergangenen Dezember die Nachricht vom Unfalltod des Schauspielers Paul Walker, dessen Namen ich bis dato noch nie gehört hatte. Trotzdem hat die Nachricht zum bis dahin größten Trafficpeak bei bild.de geführt. Das zeigt, dass man die verschiedenen Oberflächen nutzen kann, um verschiedene Schwerpunkte zu bilden – je nach Publikumsstruktur. Wir machen auf Twitter schließlich auch etwas anderes als auf Facebook. Das junge Publikum ist nicht mehr so selbstverständlich dort, wo ich es die vergangenen 60 Jahre abgeholt habe. Es wächst eine Generation heran, die medial anders sozialisiert wird. Die wächst in sozialen Netzwerken auf. Das, was wie eine virtuelle Welt erscheint, ist für sie eine reale Welt. Also muss ich sie auf diesen Plattformen abholen, wenn ich als Marke erfolgreich sein will.
Sind die deutschen Medien in diesem Bereich zu unprofessionell aufgestellt, weil viele dieser Kanäle einfach so mitbespielt werden?
Ich will nicht über andere Medien reden. Ich will als taz-Genosse über die taz reden.
Wie gut bespielt denn die taz die neuen Plätze?
Ich finde, dass die taz dort zu wenig das abbildet, was die taz eigentlich ausmacht: die Frechheit, dieses Stachelige, auch mal Geschmacklose. Wir waren „Wir sind Papst“ und Sie „Oh, mein Gott“. Wir waren nach der Wahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin „Miss Germany“, Sie waren „Es ist ein Mädchen“. Das finde ich bei der taz auf Twitter nicht wieder. Da ist es zu sauber und zu ordentlich, viel zu politisch korrekt. Dabei ist Twitter ja eigentlich wie gemacht für Medien wie Bild oder die taz. Die Frage muss also sein: Wie gehe ich da mit einer taz-Frische hinein?
Aber der taz-Account bei Twitter hat doch dreimal so viele Nutzer wie Zeitungskäufer. Das ist doch irre viel.
Man kann es auch umdrehen: Sie verkaufen zu wenige Zeitungen. Nein, im Ernst: Der großen Community muss auch ein digitales Geschäftsmodell folgen. Wenn ich meine Inhalte verschenke, macht eine Social-Media-Strategie nur Sinn, wenn ich auf Reichweite, Reichweite, Reichweite aus bin, wie beispielsweise die Huffington Post oder Buzzfeed. Wenn du aber die Reichweite nicht monetarisierst oder von den Besuchern direkt Geld bekommst, dann verabschiedest du dich von deiner Zukunft. Das ist eine Sache, die mich echt umtreibt: Wir sind alle Journalisten geworden, weil die Neugierde Teil unserer DNA ist, weil wir das Neue einfordern, weil wir den notwendigen Wandel in vielen anderen Branchen einfordern. Ich sehe fassungslos zu, wie schwer sich ausgerechnet unsere Branche mit den Veränderungen tut. Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass für uns als Medienmarken die Frage, ob uns die digitale Transformation gelingt oder nicht, eine Überlebensfrage ist. Die Musikindustrie konnte sich auch nicht an die Existenz des physischen Mediums Schallplatte klammern. Und sie hat es geschafft: Der Zugang zur Musik wurde uns in den letzten Jahren viel leichter gemacht als früher. Es gibt viele neue tolle Geschäftsmodelle.
Aber es wird fast nur fürs Papier gezahlt. Deswegen gibt es doch in so vielen Redaktionen Streit über die Zukunftsausrichtung, weil es Printredakteure gibt, die gegenüber ihren Onlinekolleginnen und -kollegen die Meinung vertreten: Wir finanzieren euch!
„Wir“ und „euch“ funktioniert schon mal gar nicht. Wir-und-euch-Journalismus gibt es nicht, denn Journalismus ist Gott sei Dank unabhängig von der Oberfläche. Aber – das stimmt – Journalismus ist in der neuen Welt anspruchsvoller, weil die neuen Ausdrucksmöglichkeiten von Zeitungsredaktionen nicht gelernt sind: Bewegtbildinhalte können wir nicht a priori produzieren. Das sind Kompetenzen, die wir uns aneignen müssen.