: Das Montagsinterview„In der Nacht habe ich nicht geschlafen“
Am 10. November 2009 brachte sich der Torhüter Robert Enke um. Sein damaliger Trainer erinnert sichTRAUERN ODER TRAINIEREN Im Profifußball versuchen viele, härter zu sein, als sie sind, sagt Andreas Bergmann. Er war Trainer bei Hannover 96, als sich Robert Enke umbrachte. Danach ging es mit der Mannschaft bergab, und Bergmann wurde beurlaubt
■ 51, war Trainer beim FC St. Pauli, bevor er 2007 die U23-Mannschaft von Hannover 96 übernahm. Im August 2009 wurde er Cheftrainer bei Hannover 96, im Januar 2010 wurde er nach einer Serie von Niederlagen beurlaubt. Inzwischen ist Bergmann in Hannover wieder für die Jugendarbeit zuständig FOTO: DPA
INTERVIEW ROGER REPPLINGER
taz: Herr Bergmann, Sie waren Trainer bei Hannover 96, als sich ihr Torwart Robert Enke umbrachte. Wie haben Sie von seinem Tod erfahren?
Andreas Bergmann: Der Sportchef Jörg Schmadtke hat mich angerufen.
Wann war das?
In den frühen Abendstunden. Den genauen Zeitpunkt weiß ich nicht mehr.
Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen?
Ich hab das gar nicht kapiert. Ich dachte: „Moment mal. Wie? Tot?“ Dann war es wie ein Erdrutsch. Mir sind tausend Dinge durch den Kopf gegangen. Was passiert jetzt? Was kommt jetzt auf uns zu? Ich hab’ Jörg gefragt: „Wo hat man ihn gefunden?“ Auf einem Bahngleis. Ich dachte: „Was ist das denn?“ Ich hab das nicht glauben wollen. Im Fernsehen waren gleich viele schlaue Leute, die Kommentare darüber abgaben, was Robert für ein Mensch war. In der Nacht habe ich nicht geschlafen.
Wer hat die Spieler informiert?
Jörg hat sie angerufen. Die Spieler waren zu Hause, ich hatte ihnen nach den letzten guten Spielen zwei Tage zur Erholung frei gegeben, nun hatten wir Schalke vor der Brust. Einige Spieler, die in Hannover waren, haben sich noch am Abend getroffen.
Wäre es nicht besser gewesen, Sie wären auch in Hannover gewesen?
Ich war an dem Abend in Hamburg, weil ich Grippe hatte. Früh morgens bin ich dann nach Hannover gefahren, um mit der Mannschaft zu sprechen und erst einmal da zu sein. Als ich nach den ersten turbulenten Tagen wieder zu Hause war, war ich ganz froh, in meinem ruhigen, vertrauten Umfeld zu sein.
Wie haben Sie versucht, mit der Situation umzugehen?
Ich hatte mit dem Thema Tod schon zu tun. Nicht nur bei Bekannten und Freunden, wo es eine Nähe wie bei Robert gab, sondern auch in der Familie, etwa als meine Eltern starben. Auch als Trainer hatte ich etwas Ähnliches erlebt, vor Jahren beim Karlsruher SC. Damals war ein A-Jugend Spieler bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Auch damals mussten wir gemeinsam mit der Mannschaft diese Tragödie bewältigen. Der Unterschied war: Bei Robert war alles öffentlich – außerdem blieb die Frage: warum?
Wie haben die Spieler reagiert?
Wir haben uns am nächsten Tag in der Kabine getroffen. Tiefste Betroffenheit, ich will das hier nicht ausbreiten. Ich hab gesagt: „Männer, ich weiß nicht, was richtig ist.“ Das war auch das, was sich aus den vielen Gesprächen mit Jörg Schmadtke ergeben hatte: Es gibt nicht das Richtige. Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn man zugibt, dass man nicht weiß, was richtig ist. Jeder Spieler, jeder von uns, sollte das machen, von dem er glaubte, dass es für ihn richtig ist. Die Spieler sind unterschiedlich damit umgegangen. Einige haben sich zum Training getroffen, obwohl kein offizielles Training angesetzt war, einige sind allein geblieben, einige zu ihren Familien gefahren. Es gab Hilfestellungen von uns. Ich konnte mich in viele hineinversetzen.
Und die Medien?
Ich wollte nicht in die Öffentlichkeit gehen, der Mannschaft ging es genau so. Jeder Spieler konnte für sich entscheiden, mit einem Seelsorger zu sprechen oder nicht. Das kannst du nicht bestimmen.
Als Sie wieder trainiert haben, haben Spieler gesagt: Ich kann hier nicht mehr trainieren, ich kann nicht mehr in diese Kabine?
Nein, alle wollten trainieren. Das hilft ja auch.
Die ganze Stadt trauerte.
Ja – laute Fans wurden leise, das waren tiefe Momente. Eine trauernde Stadt. Ich habe darüber nachgedacht, warum das so war. Robert war ein eindrucksvoller Mensch, ein großer Sportler, und er war krank und verletzlich. In der Stadt konnten sich viele Menschen mit ihren Schwächen mit Robert, dem Starken, der auch Schwächen hatte, identifizieren. Beim Trauerzug und den Kerzen vor dem Stadion, da konnten Jungens, die auch immer glauben Stärke zeigen zu müssen, Gefühle zulassen. Im Kollektiv. Da musste sich keiner verstecken, da konnte jeder sein, wie er auch ist.
Hatten Sie nicht auch mal Wut auf Enke? Sie waren nach Dieter Heckings Entlassung Bundesliga-Trainer, und nun kommt ein Selbstmord und macht Ihre Aufgabe so schwer?
So eine Wut hatte ich überhaupt nicht – ich habe vielmehr gedacht: „Robert, was machst du für einen Scheiß, warum hast du das gemacht? Warum hast du nichts gesagt?“
Sie hatten viel Kontakt mit ihm?
Ja. Er war bei mir im Mannschaftsrat, ich hab viel mit den erfahrenen Spielern gesprochen. Er war ein guter Zuhörer, er war nicht laut. Er hatte eine sehr professionelle Einstellung, er konnte Situationen gut reflektieren. Im Mannschaftsrat war er immer zukunftsorientiert, zurückhaltend, klar und besonnen. Ich hatte nie das Gefühl, dass er als Mensch so verunsichert war.
Waren Sie später wütend auf ihn?
Da hatte ich keine Zeit dafür. Ich habe es auch nicht so empfunden, dass die Situation noch schwieriger wird. Wir mussten ja erstmal die Gegenwart bewältigen. Ich hatte so viel mit der Mannschaft zu tun. Den Spielern zu vermitteln, dass sie trotzdem Spaß und Freude im Training zulassen dürfen, da war für Wut oder so etwas keine Zeit.
Das Spiel gegen Schalke 04 am 21. November ist nicht verlegt worden.
Nein, das wollten wir auch nicht. Wir wollten so schnell wie möglich wieder in einen möglichst normalen Alltag zurück. Wir haben uns überlegt: Wie machen wir das erste Training? Wir konnten aber nicht in Ruhe arbeiten, es war schwer wieder in eine Normalität hineinzukommen. In den Medien drehte sich alles um die Frage: „Wie werden die Spieler reagieren?“ Der neue Torhüter Florian Fromlowitz wurde ständig angesprochen, er hätte ja fast das Gefühl bekommen können, sich entschuldigen zu müssen, dass er nun im Tor steht.
Dann kam das Spiel gegen Schalke.
Ja – da haben wir anständig gespielt, aber 0:2 verloren. Vor dem Spiel herrschte eine unglaublich bewegende Atmosphäre. Danach waren wir alle sehr emotional. Und dann kamen einige ganz normale Spiele.
Bis Gladbach.
Ja, das ist schwer zu erklären. Dieses Spiel werde ich nie in meinem Leben vergessen. Drei Eigentore. Das waren unfassbare Zufälle. Das war vogelwild, aber es ist viel in dieses Spiel hineingelesen worden. Klar war: Wir kommen aus dem Strudel, dass die Medien alles auf Roberts Tod beziehen, nicht so schnell raus.
Haben Sie gedacht, dass Sie da raus kommen?
Immer. Mir war allerdings klar, dass die Entwicklung nach der Tragödie um Robert nicht planbar ist, die Auswirkungen nicht überschaubar sind. Aber dass es Zeit brauchen würde, bis die Mannschaft wieder in eine Normalität kommt, war schnell klar.
Dann kam Bochum.
war Nationaltorwart und Mannschaftskapitän bei Hannover 96, als er sich am 10. November 2009 mit 32 Jahren umbrachte.
■ Enke litt unter Depressionen. Drei Jahre vor seinem Tod war seine damals zweijährige Tochter gestorben.
■ Nach Stationen in Lissabon, Barcelona und Istanbul war Enke 2004 zu Hannover 96 gekommen. Seit 2007 gehörte er zum engeren Kader der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.
■ Der Tod Enkes erschütterte die Fußballwelt. Einen Tag nach seinem Tod nahmen 35.000 Menschen an einem Trauermarsch zur AWD-Arena in Hannover teil.
Wir haben 2:0 geführt und sind dann weggebrochen. Ob es da einen Zusammenhang gab, kann keiner erklären. Später, nach der Niederlage gegen Hertha nach der Winterpause, da habe ich mir schon gesagt: Wenn das mit Robert nicht passiert wäre, wäre wahrscheinlich alles anders gekommen.
Am 19. Januar, vor dem Spiel gegen Mainz, wurden Sie beurlaubt und trainieren jetzt wieder die U23 von Hannover.
Ja, und das macht enormen Spaß. Ich glaube, ich habe in dieser Zeit einige Dinge verstanden, die auch für die Nachwuchsarbeit wichtig sind. Es geht darum, den Spielern dabei zu helfen, ihre Leistung richtig einzuordnen, und zu lernen, wie dieses Geschäft funktioniert. Die Schnelllebigkeit, das Hoch und Runter in der Öffentlichkeit. Sie müssen lernen mit beidem umzugehen. Mal bist du der Größte, und nach dem nächsten verlorenen Spiel ist wieder alles schlecht. Spieler dürfen nicht, wenn sie ein, zwei gute Spiele gemacht haben, abheben. Aber sie dürfen sich auch nicht unter zu hohen Erwartungsdruck setzen lassen, wenn es mal nicht so gut läuft. Sie müssen sich fragen: Was ist gut, was ist wichtig für mich und zwar längerfristig, nicht nur im Hinblick auf die nächsten zwei Wochen.
Das zu erkennen, fällt manchen Erwachsenen schwer.
Viele von uns versuchen, auch Robert hat das versucht, keine Schwäche zu zeigen, zu funktionieren und hart zu sein. Es ist wichtig, dass die Spieler nicht die Erwartungshaltungen, die ihnen von außen vorgegeben werden, übernehmen: So oder so musst du als Spieler funktionieren. Aber das ist im Fußballgeschäft natürlich sehr schwer.
Spieler verlieren sonst jede Autonomie.
Ja – in diesem Geschäft hat die Öffentlichkeit bestimmte Erwartungen an jeden Einzelnen. Wir erfüllen oft eine Rolle, die wir nicht immer durch und durch verkörpern können. Wir verdrängen Schwächen und wollen häufig stärker sein als wir sind, dadurch machen wir uns aber tatsächlich schwächer, weil es Kraft und Energie kostet, etwas sein zu wollen was man nicht ist. Krankheiten, Ängste, Schwächen gehören dazu, daran ist niemand Schuld. Es darf bei den Spielern nicht das Gefühl entstehen, dass sie nie genügen.
Welche Gefühle haben Sie heute, wenn Sie an Robert Enke denken?
Es ist ein respektvolles Erinnern an einen tollen Menschen und großartigen Sportler. Es sind keine belastenden Gefühle mehr dabei.
Ist zwischen Ihnen und den Spielern etwas entstanden, was sich von der Beziehung zu anderen Spielern unterscheidet?
Ja, da hat was zwischen uns stattgefunden, was sonst nicht passiert. Uns hat mehr verbunden als Sport und Fußball, der uns ja alle verbindet. Es sind zwischen uns Dinge passiert, die sonst zu Hause im Privaten passieren. Da wurden Emotionen gezeigt, Spieler haben sich geöffnet, wir waren in dieser Zeit viel offener und verständnisvoller miteinander und niemand musste sich schämen, Gefühle zu zeigen.
Gibt es so etwas wie ein Bild von Robert Enke, das bleibt?
Viele. Aber vor allem eines: Am Sonntag, nach dem Spiel gegen den HSV, zwei Tage vor seinem Selbstmord. Wir sind hier in Hannover ausgelaufen und wir haben uns über das bevorstehende Schalke-Spiel unterhalten. Und er hat mich gefragt, ob er am Montag und Dienstag mit unserem Torwarttrainer Jörg Sievers trainieren kann. Klar, hab ich gesagt, du weißt am besten, was für dich richtig ist.