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Archiv-Artikel

„Ich war am Zittern“

Der deutsche Triathlet Timo Bracht fürchtet sich nicht mehr vor dem Ironman auf Hawaii. Erschreckt auf Big Island haben ihn allerdings wackelnde Wände und widrige Winde

INTERVIEW MARKUS VÖLKER

taz: Herr Bracht, am Samstag steht der Hawaii-Ironman an, feilen Sie noch an Ihrer Form?

Timo Bracht: Wir sind in der aufregendsten Woche des Jahres. Ich bin topfit. Die Muskeln fühlen sich super an. Die Form stimmt. Ich weiß, dass ich gut trainiert habe. In diesen Tagen mache ich nicht mehr viel. Heute morgen habe ich noch ein bisschen trainiert. Ich war schwimmen im Meer, 2,5 Kilometer, und habe noch ein Lauf in den Sonnenuntergang gemacht, einen Sunset-Run, etwa neun Kilometer.

Es gab in dieser Woche einen besonders aufregenden Tag auf Hawaii – als die Erde bebte.

An dem Morgen wollte ich schwimmen gehen. Aber das ist ausgefallen, auch das Radtraining. Ich war nicht mehr in der Lage dazu. Der Schock saß tief. Uns hat es im Hotel erwischt. So ein Ereignis zeigt, dass Triathlon nicht alles ist. Manchmal macht man sich Gedanken, welche Farben die Socken im Wettkampf haben sollen, und dann kommt so etwas.

Was passierte konkret?

Ich lag auf dem Bett. Meine Familie, mein Sohn André, viereinhalb, und meine Frau hatte das erste Frühstück grad hinter sich gehabt, auf einmal ging ein riesiges Grollen los. Ich hab mich mit meiner Familie sofort auf den Boden geschmissen. Ich wusste, das ist etwas unheimlich Schlimmes. Das Bett und der Boden haben gewackelt. Ein Erdbeben hab ich mir immer wie eine rumplige Straßenbahnfahrt vorgestellt. Aber so war es nicht.

Ist der Wettkampf überhaupt noch wichtig?

Ja, schon. Aber das Beben war natürlich ein Ereignis. Jeder hat es anders erlebt. Mein Bruder, der auch auf Hawaii ist, ist zum Zeitpunkt der Erschütterungen im Auto gefahren und hat gedacht, er hat einen Plattfuß, weil es so schlingerte. Die Leute im Wasser haben angeblich überhaupt nix mitgekriegt.

Im Gegensatz zu Ihnen.

Ja, wir sind völlig panisch aus den Zimmern gerannt. Meine Frau in Unterwäsche, mein Sohn im Schlafanzug. Über die Nottreppe sind wir raus aus dem Hotel. Da hab ich dann auch den Normann Stadler, Hawaii-Sieger 2004, der über uns wohnt, getroffen. Der war wie ich barfuß unterwegs. Als wir endlich auf dem Parkplatz waren, hat wieder alles gebebt. Du hast echt das Gefühl gehabt: Mein Gott!

Das Rennen stand vor der Absage.

Das wäre der Fall gewesen, wenn es weitere starke Beben gegeben hätte. Im Großen und Ganzen ist aber wieder Normalität eingekehrt.

Verbreitet das Rennen nun ein wenig Schrecken?

Dieses Jahr nicht. Das ist mein sechster Start. Sonst hab ich immer Angst gehabt. Als Profi muss man ja ein gutes Ergebnis abliefern. Das hat mich in den letzten Jahren gestresst. Dieses Jahr gehe ich aber mit einem anderen Ansatz heran. Ich sehe das Rennen als Bonus für ein sehr gutes Jahr. Angst wäre der falsche Ansatz.

Sie haben auf Hawaii eine schlechte Erfahrung gemacht. 2003 wurden Sie wegen Windschattenfahrens disqualifiziert. Ist das vergessen?

Das wirkt nicht mehr nach. Das war damals eine sportliche Entscheidung. Das gibt’s in jeder Sportart. Okay, ich war damals mit vorn dabei, aber die Gewissheit, als Amateur mit den Profis mitgehalten zu haben, war mir mehr wert als das Missgeschick der Disqualifikation. Vier Wochen danach habe ich den Ironman in Florida gewonnen. Aber eines ist auch diesmal gewiss: Es kann viel passieren.

Zum Beispiel auf der Radstrecke, wo heftige Passatwinde blasen.

Gestern bin ich Rad gefahren. Die ersten 40, 50 Kilometer hab ich gedacht: Mensch, das geht ja ganz gut. Dann bin ich an eine Kuppe gekommen, Scenic Point heißt die, und da kam der Wind sehr stark von hinten mit zirka 60 km/h. In einer leichten Linksbiegung hat mich einer der Momoko-Winde erwischt. Da hat es mich gleich um zwei Meter nach rechts versetzt. Am Straßenrand liegen Lavabrocken. Wenn man da stürzt, kann man sich schwer verletzen. Ich hab sofort auf Schrittgeschwindigkeit runtergebremst, ich war richtig am Zittern. Mit wackligen Schultern bin ich weitergefahren. Dieses Rennen hat etwas, was man im Training nicht simulieren kann.

Wie den Momoko-Wind.

Der Wind kommt hier nicht einfach nur von vorn, das ist ein Wind, der dich regelrecht vom Fahrrad hauen will. Der sagt: Geh runter, du hast hier nichts zu suchen! In Verbindung mit der Strahlung von oben bewegt man sich wie in einem Solarium. Dort ist man froh, wenn nach zehn Minuten die Uhr durchgelaufen ist. Aber hier auf diesem Highway hört die Strahlung einfach nicht auf. Die Verbindung von starkem Wind, der dich nicht duldet, und der Sonne, die dich verbrennen will, macht Hawaii so schwierig.

Der abschließende Marathon wird oft so empfunden, als würde ein Heißluftgebläse unter dem Asphalt angelassen.

Das Gebläse kommt von unten, von oben, von vorn. Auf der Laufstrecke weht trotzdem ein eher laues Lüftchen und die Stimmung ist toll. Da vergisst man, was draußen auf den Lavafeldern abgegangen ist.

Sie sind in der Profiszene als Einzelkämpfer unterwegs. Geht das bei diesen immensen Anforderungen an den Körper überhaupt?

Der Triathlonsport hat sich unabhängig von Verbänden und Funktionären entwickelt. Es gibt zwar seit 2000 den olympischen Triathlon, der vom Verband kontrolliert wird. Aber die Langstrecken-Triathleten sind meist eigenständige Unternehmer.

Was Ihnen entgegen kommt.

Auf jeden Fall. Man ist frei. Ich muss niemandem Rechenschaft ablegen, nur meinen Sponsoren. Die Deals handele ich auch selbst aus. Ich finde es gut, dass nicht noch zehn Manager und Kotrainer an mir dranhängen. Ich trage die Verantwortung. Deswegen ist Triathlon ein ehrlicher Sport.

Noch einmal: Wie lässt sich dieses Hochleistungsexperiment ohne Physiotherapeuten, Ärzte, Ernährungsberater und Trainer betreiben?

Ich kenne mich durch mein Sportstudium gut aus. Ich habe in Sportstudios und Reha-Zentren gearbeitet. Außerdem hängen sich viele Betreuer nur an den Sportler, um Geld zu verdienen. Ich bezweifle, dass jeder Athlet unbedingt einen Physiotherapeuten braucht oder einen Masseur. Viele Köche verderben den Brei. Der Sport krankt im Allgemeinen daran, dass zu viele reinreden. Entscheidend ist, dass man im Kinder- und Jugendbereich gute Betreuer hat. Da müsste mehr investiert werden. Ehrenamtliche Heimtrainer, durch die ich zum Sport gekommen bin, gibt es ja immer weniger.

Aber die Trainer allein haben Sie nicht zum großen Dreikampf gebracht?

Es war die Faszination des Ironman in Roth. Da wollte ich dabei sein. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass ich mit der absoluten Elite mithalten kann. Ein Trainer hat mir das in den 90ern zwar prophezeit, aber ich wollte es nicht glauben. Die Profis waren damals für mich sehr, sehr weit weg. Später habe ich dann gesehen, dass ich mit einem Thomas Hellriegel [Hawaii-Sieger von 1997; d. Red.] mithalten kann. Ich dachte zuerst: Da kann doch irgendetwas nicht stimmen. Nach diesem Aha-Erlebnis bin ich ins Profilager gewechselt. Ich mache Triathlon jetzt mit jeder Faser meines Körpers, aber keineswegs verkrampft. Ich hätte eine Menge Alternativen zum Triathlon.

Die Triathlonszene ist durch prominente Dopingfälle in Verruf geraten. Wird effektiv gegen den Betrug gekämpft?

Beim Ironman auf Hawaii werden die ersten zehn nach dem Wettkampf getestet. Früher war das nicht immer so. Es gibt für uns Langdistanzler in Deutschland seit 2004 auch Trainingskontrollen. Wir lösen eine Elitelizenz bei der Triathlon-Union, zahlen ein und werden regelmäßig kontrolliert. In den letzten zwölf Monaten bin ich siebenmal kontrolliert worden. Ich wäre sogar bereit, die Testprotokolle auf meiner Internetseite zu veröffentlichen.

Damit wären Sie in einer Vorreiterrolle.

In Deutschland, glaube ich, sind alle Schwerter gleich lang. Ob das international auch so ist, möchte ich bezweifeln. Es fehlt an Transparenz. Wenn ich wüsste, dass es beim Triathlon nicht ohne Drogen geht, dann wäre der Sport nichts mehr für mich. Aber das ist nicht so. Mit uns reisen auch keine Mediziner. Es gibt nicht diese Mafia wie im Radsport.

Aber es gibt Dopingsünder wie Nina Kraft und Jürgen Zäck.

Ja, es gibt schwarze Schafe.