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Archiv-Artikel

Die zwei von der Grenzsicherung

DRAMA „Abgesoffen“ im Gorki verhandelt die „Festung Europa“ als Killermovie in der Art von „Pulp Fiction“

VON KLAUS BITTERMANN

Der Hintergrund des Stücks „Abgesoffen“ im Studio R des Maxim Gorki Theaters ist die Festung Europa, die sich gegen illegale Einwanderer abschottet. 72.437 Einwanderer gelangten 2013 nach Europa, 6.645 allein über Spanien, ein Teil davon kletterte über den Grenzzaun von Melilla. Die meisten von ihnen „Moros“, wie die Nordafrikaner in Spanien genannt werden.

Zwei Killer befinden sich auf einer 700 Kilometer langen Autofahrt und philosophieren über Gott und die Welt. Man kennt das aus „Pulp Fiction“, wo auch zwei Killer wie ein altes Ehepaar aneinandergekettet sind und ständig ihre Weltanschauung diskutieren, die vor dem Hintergrund ihrer Tätigkeit ihre ganze Absurdität entfaltet. Im Film gibt es allerdings eine Interaktion zwischen den Schauspielern, die das grotesk Komische hervorhebt.

In „Abgesoffen“ stehen die beiden Schauspieler links und rechts am Bühnenrand, die Interaktion ist auf ein Minimum reduziert. Die Szenerie mit dem starren Blau des an die Wand projizierten Himmels im Hintergrund wirkt irreal und verfremdend. Für Schauspieler vielleicht die schwierigste Aufgabe, denn sie haben nicht die Möglichkeit, einen Fehler oder Hänger zu überspielen. Ihnen bleibt nur der Text.

Die beiden Killer sind gewöhnliche Menschen mit gewöhnlichen Ansichten. Darin könnte das Schockierende für den Zuschauer liegen, aber der weiß schon lange, dass der pathologische Killer die Ausnahme ist, nicht der Auftragskiller, der als literarische Figur weitgehend ausgeleuchtet ist als jemand, der auch seine Sorgen und Nöte hat.

Das Duo in „Abgesoffen“ arbeitet für die „Regierung“, ohne dass klar würde, warum ausgerechnet diese beiden mit der wahllosen Ermordung eines „Moro“ pro Woche beauftragt werden, den sie in Salzwasser ertränken und im Kofferraum ihres Autos 700 Kilometer weit verfrachten, nur um ihn dort im Meer zu entsorgen. Es ist ihr 29. Transport, und das Ganze ist auf merkwürdige Weise ineffektiv und aus der Zeit gefallen, steht also im Widerspruch zu einem System, das geeignetere Mittel anwenden kann, um sich des Problems der illegalen Zuwanderung zu entledigen. Die Killer sind wie zwei Arbeitslose, die man in eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme gezwungen hat, die zwar sinnlos ist, aber immerhin zwei Menschen in ein Lohnverhältnis setzt. Sie sind keine Analphabeten, sondern besitzen das typische Wikipedia-Halbwissen: von allem ein wenig, aber von nichts etwas Genaueres.

Den einen der beiden könnte man einen zartfühlenden Mörder nennen, wenn dieser Begriff nicht schon von Camus für die russischen Sozialrevolutionäre verwendet worden wäre, die aus ideologischen Gründen töteten und deren humanistische Motive sie zweifeln ließen. In einer Welt, in der das Töten zu einem gewöhnlichen Auftrag geworden ist, erlaubt sich der eine Killer Gewissensbisse: „Du kannst nicht einfach jeden umbringen, der sich in deinem Land aufhält.“ Dennoch tut er es. Im Gegensatz zu zartfühlenden Mördern weiß er, dass seine Tätigkeit sinnlos ist, und das lässt ihn grübeln. Für den anderen Killer, dargestellt von Ivan Vrgoc, sind die „Moros“ selbst schuld, denn wenn diese ungefragt in ein anderes Land eindrängen, müssten sie auch die Konsequenzen tragen. Er stellt den kalten, den berechenbaren Mörder dar, der sich ein logisches Weltbild zusammenzuzimmern versucht – einen Mann also, der die üblichen Ressentiments teilt und dessen Familienleben keineswegs durch seinen Job beeinträchtigt wird.

Nach dem Abgang der Killer von der Bühne folgt eine Videoeinspielung. „Moros“ überwinden den Zaun in Melilla und betreten durch eine lange breite Schleuse spanischen Boden. Junge Schwarze rufen „Messi“ und „Barça“, denn diese sind für sie Inbegriffe des Erfolgs, sie sind ausgelassen vor Freude, sie tanzen, sie laufen, sie hüpfen. Der Blick der Kamera ist auf unangenehme Weise voyeuristisch, es ist unklar, was die Bilder beweisen sollen. Sie haben lediglich eine anklagende, moralische Wirkung, die dem Stück eher zuwiderläuft.

■ Regie: Alia Luque. Mit Urs Stämpli und Ivan Vrgoc. Studio R im Gorki-Theater, noch heute um 20.30 Uhr