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Archiv-Artikel

Das Satirewunder

Die Comedywelt wächst und ist trotzdem von gestern: Die saftige Politsatire ist im Begriff, sich ihren Platz in den Medien zurückzuerobern

VON JENNI ZYLKA

Wenn man „Ultimo“ guckt, die neue, Ende September gestartete Satireshow auf n-tv, möchte man Harald Schmidt am liebsten dankbar und bewegt die Hand auf den graumelierten Scheitel legen: Chin Meyers „satirischer Monatsrückblick“ kommt fast komplett ohne Witze aus. Schlimm spießig, einfältig bis schlicht geschmacklos hangelt sich der Kabarettist durch eine lahme halbe Stunde, featuret ein paar Kollegen wie Arnulf Rating als passenderweise ebenfalls witzfreie Sabine Christiansen-Parodie „Christiane Sabinchen“ und haut zum Thema Absetzung der Oper „Idomeneo“ gruselig verfehlte Punchlines à la „Vor gut 60 Jahren haben wir noch Menschen ohne Anklage erschossen. Heute erschießen wir uns ohne Anklage selbst“ heraus.

Aber n-tv scheint mit der Zeit zu gehen: Kaum ein Medium, kaum ein Format will momentan ohne Satire sein. In fast allen Tageszeitungen gibt es eine satirische Ecke, ursprünglich mal als Ausgleich und Ausklang zu den harten aktuellen Meldungen gedacht, mittlerweile mehr oder weniger gediegen und entwickelt. Die taz hat die unbestrittene Wahrheit, macht aber ebenfalls seit einigen Jahren mit der „verboten“-Rubrik schon auf der ersten Seite klar, wo der Hammer hängt, und selbst die konservative Welt leistet sich mit Hans Zippert einen vielseitigen und trotz täglichem Ideen-Challenge oft hervorragend absurden Printkomiker.

Die Fernsehzuständigen wollen die Witze ebenfalls nicht mehr nur den mit Fun-Fridays und Spaß-Samstagen vollgepackten Privatsendern überlassen und haben entweder längst selbst Formate ersonnen – wie das stetig schaubare “Extra 3“ und die Harald-Schmidt-Show – oder ihren News- und Politikmagazinen einen Platz, oft klassischerweise den „Rausschmeißer“ eingeräumt: Bei „Frontal 21“, dem „kritischen, investigativen und unerschrockenen“ Politmagazin des Mainzer Allroundsenders, produzieren Andreas Wiemers und Werner Martin Doyé seit fünf Jahren jede Woche die Satirerubrik „Toll!“, die voller anarchistischer Zeigefreude und immer am (schnell erreichten) Rand der knöchernen ZDF-Legalität aktuelle politische Wochenthemen veräppelt.

„Verzweiflung ist eine schlechte Grundhaltung“, erklärt Redakteur Wiemers dazu, „in dem Moment, wo man Witze darüber macht, stellt man sich einer Sache!“ Der gebürtige Ostwestfale findet es erstaunlich, dass Satire von so vielen (Medien-)Menschen in Deutschland immer wieder als „Wunderding“ angesehen werde – „das ist für mich eine ganz klassische journalistische Form, eine Form der Kommentierung“, sagt er. Wichtig für eine gute Satire sei eine gewisse Solidität und das Auswahlkriterium Relevanz: „Meine Satire steht immer auf journalistischen Füßen. Und wenn es gut läuft, habe ich am Tag das wichtigste Thema der Woche getroffen. Oder zumindest das, wo jemand das Doofste gemacht hat!“

Auch im seriösen Online-Newsbereich, der qua Produktion das schnellste aller Medien sein kann, purzeln die Witzbolde aus allen Ecken. Im „Glasauge“, der Welt.de-Satirerubrik, stehen wunderbare Texte zur „Achse der bösen Kims“, einem Treffen der Kims aller Welt (von Jong Il bis Basinger), bei dem der oder die fieseste und gemeinste gewählt wird, oder eine Abstimmung zum Thema „Wen soll Madonna als nächstes adoptieren?“. Ankreuzen kann man außer Roberto Blanco auch noch Natascha Kampusch, Lolek und Bolek und Mecklenburg-Vorpommern.

Und „Spiegel Online“, das hochfrequentierte Nachrichtenportal, das etwaige Hohnlacher bislang eher durch konsequent im Mutterheftstil onkelig-dünkelhaft gehaltene Softscherze von „Ich mach mir über andere Leute ihre Grammatikfehler lustig“-Bastian Sick einsammeln wollte, hat sich den ehemaligen Titanic-Chefredakteur gesichert: Martin Sonneborn wird ab November eine neue Satirerubrik leiten, unter dem viel versprechenden und herausfordernden Motto „Komisch wie die Zeit, seriös wie ‚Focus-TV‘, aktuell wie der Winterfahrplan der Deutschen Bahn – das ist unser Ziel“. Hoffentlich wird er das beim spießigen Spiegeltimbre auch erreichen.

Dass es neben der immer noch stetig wachsenden und darum konsequent ins Belanglose abrutschenden Comedywelt wieder eine saftige Politsatirebelebung gibt, erklärt „Toll!“-Macher Wiemers mit der zunehmenden Berufsmäßigkeit auf dem Sektor: „Vielleicht lernen wir durch dieses Durchkommerzialisieren der Satire ja, wie man’s professionell macht.“

Nach englischem Vorbild, versteht sich. Was ja nicht das Schlechteste in Sachen Witzeschule ist.