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Archiv-Artikel

Stuttgarter Folgen

EINSATZ Man habe differenziert gehandelt, sagt die Polizei. Eine Überforderung bestreitet sie

BERLIN/DANNENBERG taz | Bei den Castorprotesten ist es insgesamt zu weniger Gewalt gekommen als bei Protesten gegen Atommülltransporte der vergangenen Jahre, sagte Christian Poppendieck, Leiter der Pressearbeit der Bundespolizei beim Castortransport, gegenüber der taz. „Unser Konzept ist aufgegangen“, sagte der Polizeioberrat: „Differenziertes Augenmaß und differenzierte Maßnahmen.“

Torsten Oestmann, Leiter des Medienstabs bei der Polizeidirektion Lüneburg, die den Einsatz koordiniert, sagte, dass sich mehrere tausend Menschen gewaltfrei auf die Schienen gesetzt hätten und gewaltfrei entfernt worden sein. „Das waren keine Straftäter“, sagte Oestmann. Das sogenannte Schottern jedoch stelle laut Poppendieck eine Straftat dar.

Im Vorfeld des Transports hatte die Polizei angekündigt, gegen „friedliche Demonstranten mit friedlichen Mitteln“ vorzugehen. Als Grund für die neue Deeskalationsstrategie der Polizei wird der massive Polizeieinsatz in Stuttgart bei den Protesten gegen den Bau des neues Bahnhofs gewertet. Christian Poppendieck bestreitet das: „Da gibt es keine Parallelen.“

Wie viele Polizeikräfte derzeit im Einsatz sind, ist unklar. Die Gewerkschaft der Polizei spricht von 20.000 Polizisten, Christian Poppendieck von mehreren tausend. Nach Informationen aus dem Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses wurden jetzt noch einmal zwei Hundertschaften aus Berlin ins Wendland geschickt.

Zur Anzahl der Verletzten will die Polizei keine Angaben machen. Die Protestierenden sprechen von 950 Augenverletzungen und 29 Kopfplatzwunden beim „Schottern“. Zwei Demonstranten mussten nach Angaben der Gruppe ins Krankenhaus. Die Polizei soll Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt haben.

„Wir haben mehrere Dutzend Konfliktmanager und Seelsorger eingesetzt“, sagt Christian Poppendieck. Die hätten es etwa geschafft, dass rund 2.400 Blockierer nach Gesprächen freiwillig die Gleise verließen. „Aber gegen diejenigen, die Sonderwagen anzünden und Einsatzkräfte mit Pyrotechnik beschießen, mussten wir direkt vorgehen“, so Poppendieck. Torsten Oestmann sagte: „Wir hatten jederzeit das Heft in der Hand.“ Oestmann und Poppendieck wehren sich gegen den Vorwurf, die Polizei sei mancherorts überfordert und die Polizisten seien teilweise stark übermüdet gewesen. „Das konnte ich nicht erkennen“, sagt Poppendieck. Oestmann räumte ein, dass „manche Kollegen sicherlich überlastet waren“.

SIMONE SCHMOLLACK, MARTIN KAUL