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Archiv-Artikel

portrait Einsamer Rufer im Land der Camorra

Ob er nicht, bitte schön, sein Brot woanders kaufen könne – das musste sich Roberto Saviano kürzlich beim Bäcker fragen lassen. Und im Restaurant bedeuteten ihm die Kellner, für ihn gebe es nichts zu essen; er sei unerwünscht. Auch seine Eltern, so heißt es, sprechen kein Wort mehr mit ihm.

Geächtet, als wäre er ein stadtbekannter Pädophiler, hat Saviano bloß eine Schuld auf sich geladen: Erst in kurzen Erzählungen, dann in einem Reportage-Band beschrieb er detailliert das kriminelle Wirken der Camorra in und um Neapel. Sein im Mai bei Mondadori erschienenes Buch „Gomorra“ erreichte ohne jeden Werbeaufwand eine Auflage von 100.000. Und mit dem „Viareggio“ gewann der 27-jährige Debütant gleich einen der wichtigsten Literaturpreise Italiens.

Einzigartig ist sein Werk in der Tat. Denn Saviano, als Reporter immer auf der Vespa in den Hochburgen der Camorra – der neapolitanischen Mafia – im Norden der Stadt unterwegs, war dabei, als Dealer der Clans ihren neuen Heroinverschnitt auf offener Straße an Junkies testeten, und auch, als die völlig verbrannte Leiche einer jungen Frau von Polizisten aus einem Auto geborgen wurde.

Vor allem aber nennt er die Namen der Bosse, die in kleinen Klitschen für Italiens bekannte Modelabels nähen lassen, die ihr Geld auf dem von ihnen aufgezogenen größten Drogenmarkt Europas verdienen. Und die 2004 in einem brutalen Krieg mit mehr als 200 Toten klärten, wer auf diesem Markt das Sagen hat. Das Maß war voll, als Saviano am 23. September in der Mafiahochburg Casal di Principe den Bossen auf einer Kundgebung entgegenschleuderte: „Iovine, Schiavone, Zagaria, ihr seid nichts wert. Die Macht dieser Leute gründet bloß auf der Angst, sie müssen von hier verschwinden.“

Verschwinden musste erst mal der junge Autor. Selbst eine Politikerin aus Romano Prodis Mitte-links-Lager wie Bürgermeisterin Rosa Russo Jervolino dachte nicht daran, ihn in Schutz zu nehmen, sondern schmähte ihn als „völlig Fixierten mit schiefem Blick“. Doch dann meldete sich Umberto Eco, Autor vom „Namen der Rose“ und „Foucaultschen Pendel“, zu Wort. In einem dramatischen TV-Appell wies er darauf hin, wie die Mafia immer schon vorgeht: Erst isoliert sie ihre Opfer, dann erledigt sie sie physisch. So sei es schon den 1992 ermordeten Richtern Falcone und Borsellino ergangen. Eco wurde dann aber praktisch: Anders als bei dem seinerzeit von Islamisten bedrohten Salman Rushdie kenne man bei Saviano die möglichen Täter; und der Staat müsse dem jungen Autor bloß Begleitschutz gewähren. Das Innenministerium reagierte sofort. Seit Montag hat Saviano staatliche Bodyguards.

MICHAEL BRAUN