Hauptstadt auf Hartz IV
: KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE

Die Verfassungsrichter in Karlsruhe haben Berlin auf Hartz IV gesetzt. So kann man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassen. Berlin hat 61,6 Milliarden Euro Schulden – und kaum Chancen, dieser Falle jemals wieder zu entkommen.

Der rot-rote Senat hat eine Finanzdisziplin an den Tag gelegt, die 2001 niemand SPD und Linkspartei zugetraut hätte. Berlin hat in einem Maße gespart, das man noch nicht mal reichen Ländern wie Bayern wünscht. Trotzdem sieht das Verfassungsgericht keine Notwendigkeit, dass der Bund Berlin unter die Arme greift. Das ist ein Desaster für Berlin. Und ein falsches Signal für die Republik.

Die Möglichkeit, in der Hauptstadt so etwas wie Politik zu machen, tendiert nun gegen null. Der Sachzwang regiert. Selbst wenn die Stadt, was töricht wäre, alle kommunalen Wohnungen verscherbelt, Opern und Universitäten schließt und die Kitas teuer macht – der Schuldenberg wäre noch immer monströs. Bürgermeister Wowereit kommentierte ironisch, dass es doch eine gute Nachricht sei, dass das Gericht die Haushaltslage in Berlin für nicht so schlimm hält. Arm, aber lustig.

Das zentrale Argument der Verfassungsrichter lautet, dass Berlin noch immer mehr Geld für Kultur und Universitäten ausgibt als Hamburg. So viel schlimmer als im Saarland sei die Lage auch nicht. Das klingt einleuchtend – ist es aber nicht. Denn durch Hamburg wurde keine Mauer gebaut. Saarbrücken wurde nicht durch den Kalten Krieg entindustrialisiert. Und Bremen ist nicht die deutsche Hauptstadt.

Das Karlsruher Urteil verströmt den Geist der alten Bundesrepublik: föderalistisch, antizentralistisch und mit wenig Sinn für nationale Symbolik. Die Idee, dass Berlin als Hauptstadt etwas anderes ist, kommt schlicht nicht vor.

Was ist der Republik ihre Hauptstadt wert? Diese Frage ist offen, erst recht nach diesem Urteil. Wollen wir wirklich eine Hauptstadt, die ihre Theater und Forschungseinrichtungen dichtmachen muss und so gerade das abschafft, was als zukunftsweisend gilt?

Wenn nicht, gibt es aus dem Karlsruher Urteil nur eine Konsequenz: Der Bund muss, noch mehr als bisher, direkt Kunst und Wissenschaft in Berlin unterstützen.