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Archiv-Artikel

Der Trendbrecher von Charlottenburg

Das Wahrheit-Porträt: Eine Begegnung mit dem Modebeschleuniger und Sprachbeeinflusser Jakob Feldkamp

Allzu viel lassen die Herrscher des Trends nicht an die Öffentlichkeit dringen

Wenn er durch die belebte Fußgängerzone läuft, scheint er mit dem Hintergrund eins zu werden. Und doch sticht er hier in der Wilmersdorfer Straße hervor aus der Masse der mit Einkaufstaschen bepackten Passanten, so wie er gekleidet ist: Oben thront ein Pepitahütchen auf seinen langen dunklen Locken; sein Gesicht teilt ein buschiger Schnurrbart wie bei einem Pornostar der Siebzigerjahre; unter seiner Camouflage-Jacke trägt er eine giftgrüne Latzhose mit Dreiviertelbein, auf deren Brustlatz in silbernen Buchstaben das Wort „Hauptstadtrocker“ geschrieben steht; rosafarbene Kniestrümpfe in Sneakers von Adidas runden das auffällig unauffällige Ensemble ab. Ob die Mischung nicht etwas gewagt sei, springen wir direkt ins Gespräch. „Ja, klar! Alles voll volk, total outinger!“

Jakob Feldkamp ist Trendbrecher. Wir haben uns bewusst mit ihm in einer Fußgängerzone verabredet, weil seine Arbeit sich auch in der Einkaufspolitik der Konzernketten niederschlägt, die hier ihre großen Kaufhäuser haben. „Was ‚volk‘ und ‚outinger‘ heißt?“, lacht Jakob Feldkamp. „ ‚Volk‘ ist ein Adjektiv und bedeutet so viel wie ‚massentauglich‘. Und ‚outinger‘ ist ein neuer Superlativ, die höchste Stufe: out, megaout, outinger. Das Besondere daran ist, dass es ein Elativ als Superlativ ist, denn ich breche gerade die Vormachtstellung der Mega- und Hypersuperlative“, doziert der 26-Jährige. „Es geht mir nicht nur um das, was ich anhabe, um Kleidung oder Produkte. Ich will auch Sprache verändern. Nicht umsonst habe ich Kulturwissenschaften, Linguistik und anorganische Chemie studiert. Und wie Sie sehen, kann ich auch Hochdeutsch“, lächelt Feldkamp und lüftet zum Gruß sein Pepitahütchen. Man kennt ihn hier.

Dann entschuldigt er sich kurz und eilt hinüber zu einer H & M-Filiale. Fachmännisch besieht er sich an einem Kleiderständer löchrige Kniebundhosen mit Puffsäumen. „Meine Arbeit“, winkt er uns heran. „Die Mandy“, stellt er uns eine Verkäuferin vor, die ihn und seine Arbeit genau einzuschätzen weiß: „Der Jakob ist voll wichtig für uns. Am Jakob können wir sehen, was absolut outinger ist“, sagt sie, und wir verstehen langsam, wie groß der Einfluss eines Trendbrechers sein kann.

„Also ich seh mich eher als Modebeschleuniger“, sagt Feldkamp. Sein Leben ist ein einziger Dauersuperlativ. Er lebt bewusst in Charlottenburg, nicht in den Berliner Trendbezirken Prenzlauer Berg oder Friedrichshain, da er, wie er sagt, von außen, „vom piefigen Charlottenburg viel besser eingreifen kann“.

Wie wird man Trendbrecher? „Schon als Kind in der Schule war ich immer der mit nur zwei Streifen an den Schuhen.“ Feldkamp deutet mit seinem wulstigen Zeigefinger auf seine Adidas-Schuhe. „Dann habe ich studiert und wurde Trendscout, aber das war mir auf Dauer zu langweilig. Immer rumhängen und jedem Trend hinterhecheln. Ich wollte selbst was auf die Beine stellen und bewegen. Also habe ich mich selbstständig gemacht. Und dann kamen die ersten Anfragen von Firmen, die Trends brechen wollten“, erläutert Feldkamp und wirkt jetzt wie ein erfahrener Geschäftsmann, der einen Kunden durch sein traditionsreiches Unternehmen führt. „Heute werde ich von der Industrie dafür bezahlt, die Verkaufszahlen anderer Unternehmen einbrechen zu lassen.“ Auf die Frage, ob das denn lukrativ sei, flüstert Feldkamp übertrieben gespielt in unsere Richtung: „Geschäftsgeheimnis …“

Wie geht er konkret vor, wenn er einen Trend bricht?, möchten wir wissen. „Ich konzentriere mich ganz auf meinen Auftrag und schalte meinen inneren Simulator ein. Dann steigere ich mich in einen Rausch. Das wir uns nicht falsch verstehen. Ich nehme keine Drogen. Drogen sind porninger. Aber ich verrate Ihnen jetzt doch ein Geheimnis“, senkt er die Stimme. „Wenn es hart auf hart kommt und eine große Sache ansteht, gehört es zu meinen Ritualen, dass ich ein Glas Bärwurz trinke. Meist gehe ich dann sofort auf die Knie und umarme mein Bidet. Das befreit unglaublich, und dann kommen die besten Sachen raus. Aber das ist nichts für Nachahmungsbrecher“, warnt Feldkamp.

„Der Trend zum Trendbrecher ist ungebrochen“, sagt Tjark Rüthers vom Hamburger Zeitgeistbüro „Trend iN Time“ (TiNT), das immerhin 20 Trendforscher und -scouts beschäftigt – und seit einem halben Jahr auch zwei Trendbrecher. Die Trendbranche hat im vergangenen Jahr 300-prozentige Umsatzsteigerungen zu verzeichnen, wie der Chef von TiNT uns verrät. „Wir kommen so ganz gut miteinander aus“, meint Rüthers auf die Frage, ob Trendscouts und Trendbrecher sich nicht manchmal in die Quere kommen. „Sicher gibt es ab und zu so Konflikte. Aber wo gibt es die nicht? Und wir regeln das gern auch so intern“, sagt der Trendchef. Verschwiegenheit ist jedenfalls ein Kapital der Trendbranche. Allzu viel lassen die Herrscher des Trends nicht an die Öffentlichkeit dringen. „Jeder hat so seine Betriebsgeheimnisse“, grinst Rüthers. Was er von Jakob Feldkamp halte, fragen wir ihn. „Der Beste von allen“, meint Rüthers. „Sehen Sie sich nur an, wie er so angezogen ist. Die ganz harte Nummer. Jakob geht dahin, wo es weh tut. Er ist absolut coolinger.“

Jakob Feldkamp hat sich derweil in der Fußgängerzone umgesehen und ist zufrieden. Wenn er sich aber nicht nur mit Produkten, sondern auch mit nichtgegenständlichen Phänomenen wie zum Beispiel der Sprache beschäftigt, wie ist es dann um die Liebe bestellt, wollen wir von ihm wissen. Feldkamps Mundwinkel fallen rasant nach unten: „Ich habe alles versucht: Kontaktanzeigen, Sexclubs, SM-Studios, ja sogar Kuschelpartys. Aber ich finde einfach niemanden.“ So persönlich wollten wir es eigentlich gar nicht wissen, aber bitte: Bei der Liebe nutzen ihm somit all seine Fähigkeiten nichts? Fast schon verzweifelt reißt sich Feldkamp jetzt das Pepitahütchen vom Kopf und beginnt hemmungslos zu heulen: „Niemand liebt mich!“, schluchzt er und lehnt seinen Kopf an unsere Schulter. Und so stehen wir da, mitten in der Fußgängerzone, umbrandet von Tüten schleppenden Einkäufern, und denken nur eins: total uncoolinger. MICHAEL RINGEL