piwik no script img

Archiv-Artikel

Aktion Rhythmus läuft an

SOUND DER DDR Pop-Literat Thomas Meinecke und Musikwissenschaftler Peter Wicke plauderten im Berliner Brecht-Haus über vier Jahrzehnte Pop im Osten

Mitte der 70er drangen alarmierende Studienergebnisse nach Ostberlin. Die Jugend drohte sich vom „Boden des Sozialismus“ zu entfernen

„Ich weiß eh nichts“, sagt der Hamburger Thomas Meinecke am Dienstagabend. Der Pop-Literat Meinecke hat zuvor im Berliner Brecht-Haus ganz munter mit dem Musikwissenschaftler Peter Wicke über „vier Jahrzehnte musikalischer Pop- und Undergroundkultur“ im Osten diskutiert. Meinecke ist Sammler von „Jugendtanzmusik“. So nannte die DDR offiziell, was heute als „Ost-Rock“ für ausverkaufte Konzertsäle sorgt.

Es ist ein Phänomen, bei dem sich der linientreue Komponist Ernst Hermann Meyer wahrscheinlich im Grabe umdrehen würde. 1952 verteufelte der Vertreter des Sozialistischen Realismus in der Musik alles, was hörbar aus dem amerikanischen Westen kam, als „musikalisches Giftgas“. Über die Reihe „Jazz und Lyrik“ wurde die Musik vom Klassenfeind dann aber doch salonfähig, wenn auch unter strikter Aufsicht des allgegenwärtigen Staates, erzählt Peter Wicke.

Die ersten Platten von Manfred Krug sind heute legendär, und konsequenterweise legt Thomas Meinecke zu Beginn der Debatte über „DDR-Sound & Track“ dessen Cover „The more I see you, the more I love you“ auf den Plattenspieler. In der Folge hat der Schriftsteller mit dem „dilettantisch westlichen Blick“ allerdings kaum was zu sagen bis auf süffige emphatische Floskeln. Mal gibt es da „enormen Groove“, mal kommt da was „Crispes“ aus den Boxen.

Interessant wird es, wenn Ost-Musik-Experte Peter Wicke den Moderator erlöst. Der in Zwickau geborene Direktor des Forschungszentrums populäre Musik am Seminar für Musikwissenschaft der Humboldt-Universität Berlin ist ein pragmatischer Didaktiker. Er hat viel zu erzählen über historische Realitäten im Musikapparat der DDR.

Wenn es um Jazz geht, streicht Wicke die ästhetische Bedeutung der zumeist textlosen Musik heraus. Beim Rock dagegen geht es weitaus mehr um ideologische Realitäten: Mitte der 1970er Jahre drangen aus Leipzig alarmierende Studienergebnisse nach Ostberlin. Die Jugend drohte sich vom „Boden des Sozialismus“ zu entfernen. Mit der „Aktion Rhythmus“ wurde schnell gegengesteuert. Es gab bald zu jeder wichtigen West-Band ein „Äquivalent im Osten“, erklärt Wicke. Die Puhdys fungierten beispielsweise zu Anfang als Uriah-Heep-Version. Dennoch, in punkto Texte ließ man nichts anbrennen. Ein Großteil der Lyriker, die die Bands belieferten, standen auf der Gehaltsliste der Stasi. Die Produktionsbedingungen waren monopolisiert. Allein der Rundfunk stellte Studios. Absurderweise gehörte der Rundfunk zur Post, die klare Vorgaben für die Benutzung der Regler am Mischpult vorgab. Was wohl mit stetiger Regelmäßigkeit zu Konflikten zwischen „Musikanten“ und Studiopersonal führte.

Die textlich wie musikalisch als am anspruchsvollsten geltende Klaus Renft Kombo wurde nach allerlei Repressionen 1975 verboten. Einige Mitglieder gingen freiwillig in den Westen. Andere wurden dauerhaft eingekerkert. Der regimekritische Liedermacher Gerulf Pannach war den Oberen in Ostberlin ein Dorn im Auge. Die Stasi drangsalierte den Dichter regelmäßig. Bei aller Vorabkontrolle: Die Angst vor dem Liveauftritt war am größten. Was der Musiker auf der Bühne sagt, lässt sich nicht steuern.

Ende der 80er spielte dann auch das keine Rolle mehr. Fast alles wurde durchgewunken. Leider kommt dieser letzte Abschnitt in der Debatte zwischen Meinecke und Wicke zu kurz. Mit Ausnahme der Punk-Band Herbst in Peking, die als der einzige wirkliche Subkulturvertreter des Abends gelten kann. Der Ost-Rock ist im Großen und Ganzen, im Gegensatz zu anders lautenden Nostalgiemythen, wohl auch nie Subkultur gewesen.

JAN SCHEPER