: Der Robodoc und seine Opfer
Sicher und genau sollte der Robodoc Oberschenkelknochen bei Hüftgelenksoperationen ausfräsen. Tatsächlich machte das Gerät viele Patienten zum Krüppel. An diesem Wochenende traf sich die Selbsthilfegruppe „Forum Robodoc“ in Glücksburg
VON ESTHER GEIßLINGER
Am Tag vor der Operation war sie noch bei der Arbeit gewesen. Bedenken wegen des Eingriffes hatte die Arzthelferin Karin Rogalski nicht: Ein Hüftgelenk sollte erneuert werden, ein Routineeingriff in deutschen Kliniken. Bundesweit werden jährlich rund 190.000 dieser Operationen gemacht, nur in ein bis zwei Prozent aller Fälle bleiben Folgeschäden an Nerven oder Muskeln zurück. Aber Rogalski hatte Pech: Als sie vor fünf Jahren im Klinikum Itzehoe operiert wurde, war dort „Robodoc“ im Einsatz.
Der zuständige Arzt Dr. Michael Kappus lobte den mechanischen Kollegen als sicher und genau, von Gefahren oder Spätfolgen war nicht die Rede. Heute, nach weiteren Operationen, geht die jetzt 62-Jährige an Krücken, über ihre Hüfte zieht sich eine 25 Zentimeter lange Narbe. Das Schlimmste aber sind die Schmerzen: „Ich habe mein Lebtag nie Schmerztabletten genommen“, sagt Karin Rogalski. „Heute brauche ich täglich ein Morpiumpflaster.“
Sie ist kein Einzelfall: Mehr als 620 Geschädigte stehen in der Kartei der Selbsthilfegruppe „Forum Robodoc“. Der Anwalt Dr. Jochen Grund, der zahlreiche der zu Krüppeln Operierten vertritt, geht davon aus, dass es bundesweit mehr als 1.200 Opfer gibt – bei etwa 11.000 Eingriffen mit dem amerikanischen System Robdoc und dem deutschen Konkurrenzprodukt Caspar.
Wie die metallischen Chirurgen arbeiteten, beschreibt Erna-Maria Götz, Vorsitzende der Initiative und selbst Geschädigte: Das Bein wird fest eingespannt, Nägel werden ins Knie geschlagen, um den Roboterarm zu befestigen. Daran hängt eine Fräse, die sich mit extrem hoher Drehungszahl durch das Gewebe bohrt. Allein die Reibungshitze während der Operation könne Knochen schädigen, meint Götz: „Einige von uns haben Flecken auf den Knochen. Man weiß nicht, was noch passieren wird.“
Die mechanischen Ärzte schnitten tief ins Muskelgewebe ein, zerstörten manchmal Sehnen und Nerven. Von 1994 bis 2004 frästen die Roboter an 68 Kliniken in Deutschland, dann erreichte es die Selbsthilfegruppen, unterstützt durch Medienberichte und Gerichtsurteile, dass die Geräte in den Krankenhäusern abgestellt wurden. „Das war unser erstes Ziel“, sagt Erna-Maria Götz.
Zweimal jährlich treffen sich die Mitglieder der Gruppe – am Sonnabend erstmals im schleswig-holsteinischen Glücksburg bei Flensburg, und das aus gutem Grund: „Im Norden sind wir noch wenig bekannt. Und gerade hier sind die Fronten hart.“ Denn nachdem die Systeme abgestellt wurden, geht es den Betroffenen nun um Schmerzens- und Schadensgeld.
Die Zeit läuft: In den meisten Fällen müssen die Ansprüche bis Jahresende geltend gemacht werden, Anwalt Jochen Grund bereitet eine ganze Reihe von Klagen gegen die Krankenhäuser vor. In einigen Fällen zahlten die Kliniken freiwillig, aber längst nicht alle sind verhandlungsbereit. „Die Ärzte neigen zu außergewöhnlicher Dreistigkeit“, sagt Grund.
In den Prozessen geht es immer wieder um eine Frage: Wie sind die Patienten aufgeklärt worden? Denn Robodoc, so viel weiß die Initiative inzwischen, befand sich noch im Experimentalstadium, als Professor Martin Börner, damals Ärztlicher Direktor des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Frankfurt am Main und selbst ernannter „Vater des Robodoc“, das Gerät nach Deutschland holte. „Wir kennen die Verträge, die zwischen ihm und dem Hersteller geschlossen wurden“, sagt die Vorsitzende der Selbsthilfegruppe Götz. Daraus gehe klar hervor, dass Börner ein weitgehend unerprobtes System übernahm und erst mit seinen Operationen Daten sammeln sollte.
Dennoch habe Börner das Gerät bundesweit angepriesen, sagt Götz. Viele Ärzte glaubten an den Wunderdoc aus Stahl, zum Beispiel in Itzehoe: „Ich habe nie so eine harte Front erlebt wie dort“, sagt Götz. Sie hat Politiker des Kreises Steinburg angeschrieben, stieß aber nur auf Ablehnung.
Auch im Kreiskrankenhaus Rendsburg, wo Rododoc und Caspar parallel frästen, gibt es bisher wenig Entgegenkommen. Erika Grage, die seit ihrer Operation im Jahr 2000 unter „unerträglichen Schmerzen“ leidet, wurde jahrelang als Simulantin behandelt: „Ich wurde nicht für voll genommen“, berichtet die heute pensionierte Finanzbeamtin. Therese Mohr, ebenfalls in Rendsburg operiert, erinnert sich, wie der behandelnde Arzt das Gerät anpries: „Es macht präzisere Schnitte.“ Beide Frauen gehen an Krücken und beide wollen klagen, um jedenfalls ein wenig Schmerzensgeld von den Kliniken zu erhalten.
Erna-Maria Götz geht es nicht nur um Geld, sondern auch „um eine neue Kultur im Umgang mit Fehlern“: „Die Leute sollen doch jedenfalls eine Entschuldigung bekommen.“