Mit inneren Werten allein zu Haus

Schriften zu Zeitschriften: Das „Magazin“ untersucht die Liebesmühen einsamer Herzen, das „Schreibheft“ stöbert in Briefen von Enzensberger, Adorno und Arno Schmidt

Sind Singles eine politische Gefahr? FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher war nach den jüngsten Wahlerfolgen der NPD um rasche Analyse in seiner Zeitung nicht verlegen. Frauen hätten die perspektivlose Ödnis Mecklenburg-Vorpommerns längst verlassen und die darüber frustrierten jungen Männer ihr Kreuz bei den Rechten gemacht. Die Triebabfuhr der maskulinen Überzahl erfolgte in der Wahlkabine. Einsame Männer können aber auch anders, wie der 36-jährige Busfahrer René in der Novemberausgabe des Magazin beweist: „Ich hole meine Gitarre raus, setze mich aufs Bett und spiele ‚Heart of Gold‘ oder ‚House in New Orleans‘.“ Immerhin hat er Arbeit, was zwar vor Extremismus bewahren mag, aber stattdessen emotionale Probleme verursacht: „Sicher gab es Liaisons. Aber dann kam die Enttäuschung: Peng. Streitthema waren meine unregelmäßigen Arbeitszeiten, meine Schichten.“

Auf dem Cover der Zeitschrift lässt eine Frau einen Drachen in Herzform steigen. „Glücklich allein?“ lautet die ewige Single-Frage, die Betroffenen gestellt wird. Eventmanagerin Nicole, 30, bringt das Gefühl, das jeder kennt, auf den Punkt: „Die Single-Sonntage sind schlimm. Ich kenne zwar tausend Leute, hocke aber oft nachmittags allein zu Hause.“ Mit den Männern ist es immer dasselbe: „Von heute auf morgen ist er weg. Ich stehe vor einem Abgrund und weiß nicht weiter.“ Aber umgekehrt ist das Geschlechterverhältnis auch nicht einfacher, musste Schauspieler Friedhelm, 26, erfahren: „Wenn ich mich in eine Frau verliebt habe, war ich für sie nur ein guter Freund.“ Denn: „Frauen wollen anscheinend die miesen Typen.“

Zum Glück steht die Kunst als klassische Therapieform bereit: „Wenn es mir schlecht geht, zeichne ich viel.“ Kreativität erlebte wiederum die 45-jährige Sachbearbeiterin Kathrin eher als beziehungsstörend: „Mein Exmann ist Musiker und schlief oft lange. Ohne ihn konnte ich wenig genießen, alles hing von ihm ab, ein frustrierender Zustand.“ Heute bringt Verzicht höchstens emotionale Vorteile: „Sicher, man könnte Sex haben oder kuscheln, aber das ist so abstrakt.“ Eine ewige Wahrheit hat jedenfalls Friedhelm schon entdeckt: „Auch wenn es platt klingt: Die inneren Werte zählen.“

Diese bestanden im Falle des Magazins zu DDR-Zeiten vor allem aus freizügigen Aktfotostrecken. Am Kiosk war es daher so gut wie nie erhältlich und ein Abo nur in jahrelanger Wartezeit zu ergattern. Die östliche Aura der Zeitschrift ist heute noch zu erahnen: Unterhaltung ja, aber nicht zu oberflächlich, Kultur ja, aber ein bisschen egalitär und ohne feuilletonistische Distinktionsriten, nett statt provokant, intim-vertraulich statt pseudocool, vor Biederkeiten nicht immer gefeit und dennoch keine triviale Lektüre – eine kleine, seltsame Andersartigkeit unter den vielen unoriginellen Hochglanzprodukten.

Komplexe Beziehungsprobleme werden auch in der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift Schreibheft verhandelt: das Verhältnis von Redakteur und Autor. Der zu Unrecht weitgehend vergessene Schriftsteller Helmut Heißenbüttel (1921–1996), dem im Septemberheft ein Schwerpunkt mit unveröffentlichten Texten gewidmet ist, war im Brotberuf von 1957 bis zur Pensionierung 1981 Rundfunkredakteur beim SDR. Als Leiter der Abteilung „Radio-Essay“ plagte er sich mit den wichtigsten Intellektuellen des Landes herum, die er zu Beiträgen drängte oder die ihn mit Textangeboten behelligten. Aus den Tiefen der Archive werden nun erstmals Briefwechsel mit Adorno, Enzensberger und Arno Schmidt zutage gefördert, die von der glorreichen Zeit des Radios als kulturellem Leitmedium künden – eine archäologische Ruhmestat. So will Enzensberger 1961 bei Heißenbüttel seine kritische Analyse der FAZ unterbringen, was beide in mehreren Briefen in aller Heimlichkeit vorbereiten – bis die Intendanz des Senders das Unternehmen in letzter Sekunde aus politischen Gründen abbläst.

Als Meister im hartnäckigen Antichambrieren erweist sich Adorno, der in langen Episteln seine Essays anpreist. Manchmal wehrt sich aber auch der geschickte Redakteur gegen dessen „ziemlich harte Brocken“: Mit Ontologie und Dialektik wären die Voraussetzungen überschritten, die „ich auch bei den Hörern unseres Programms als vorhanden annehmen kann“.

ALEXANDER CAMANN

Das Magazin, Heft 11/2006, 3 €, www.dasmagazin.deSchreibheft, Nr. 67, September 2006, 10,50 €, www.schreibheft.de