Die unbekannte Oberschicht

Nicht nur die „Unterschicht“ ist Thema – die SPD widmet sich auf einer Konferenz den Reichen. Forscher beklagen die mangelnde „soziale Durchlässigkeit“ nach oben

BERLIN taz ■ Die SPD entdeckt die Reichen. Nach der von Parteichef Kurt Beck angestoßenen, heftig geführten Armutsdebatte erinnern sich die Spitzengenossen nun des Verfassungsauftrags aus Art. 14 GG: „Eigentum verpflichtet“. Gleich sechs Stunden diskutierten Politiker und Wissenschaftler gestern auf der Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion den „Reichtum in Deutschland“.

Datengrundlage der Debatte ist der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2005. Dessen erschreckender Befund ist allgemein bekannt: Die soziale Schere zwischen Reichen und Armen, zwischen oben und unten, klafft zunehmend auseinander. „Die 10 Prozent der reichsten Menschen in Deutschland konzentrieren über 46 Prozent des Gesamtvermögens in Deutschland“, stellt Professor Ernst-Ulrich Huster, Politikwissenschaftler an der Evangelischen Fachhochschule Bochum, fest.

Doch über diese Kernaussage hinaus bleiben verlässliche wissenschaftliche Angaben über die Reichen in Deutschland schwierig. In Datenerhebungen wird oft in der höchsten Einkommensgruppe nicht ausreichend differenziert, zudem halten sich die Reichen mit Auskünften zurück. „Der Arme will, dass seine Armut wahrgenommen wird, der Reiche schweigt und genießt“, sagt Huster. „Der Reiche – das scheue Wild“, fasste Rolf Stöckel, Sprecher der „AG Verteilungsgerechtigkeit“ der SPD-Fraktion, die unzureichende Datenlage zusammen.

Dass einige unbequeme Wahrheiten über das unbekannte Wesen Oberschicht doch nachweisbar sind, erläuterte Michael Hartmann, Soziologieprofessor an der TU Darmstadt. Er untersucht, wie die Managerelite in Deutschland ihren Reichtum generiert. „Das Totschlagargument, dass die im internationalen Markt üblichen Managergehälter zur Erhöhung der Vorstandsgehälter deutscher Unternehmen zwingen, ist schlichtweg falsch“, sagt er. Solch ein internationaler Markt von Managern existiere gar nicht. So seien in der US-Wirtschaft ähnlich wie in Europa nur 5 Prozent der Manager aus dem Ausland. „Dieses falsche Argument wird aber erfolgreich eingesetzt“, sagte der Eliteforscher, „und es zeigt eindrücklich die Spielräume, die in Deutschland von den Reichen genutzt werden.“

Früher sei Deutschland zudem weltweit vorbildlich für die soziale Durchlässigkeit seiner politischen Klasse gewesen, erklärte Hartmann weiter. Die Volksparteien hätten gerade auch Angehörige der mittleren und unteren Schichten in die politische Verantwortung gebracht. „Diese Sonderstellung ist weg“, fuhr er fort. Durch die Mitgliederverluste von SPD und CDU/CSU und die Verweigerungshaltung weiter Bevölkerungsteile spiegele die Politikerklasse immer weniger die reale Bevölkerung wieder. Die Politikerklasse nähere sich mit ihrer gehobenen sozialen Zusammensetzung der Wirtschaftsklasse an, so Hartmann. „Je näher Polit- und Wirtschaftseliten aneinanderliegen, desto größer ist die Gefahr, dass ihre Wahrnehmung von sozialer Wirklichkeit nicht mehr mit der von vielen Menschen in Deutschland korrespondiert“, warnte Hartmann.

Doch was tut die SPD für eine gerechtere Verteilung? Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Nicolette Kressl verwies auf die sogenannte „Reichensteuer“, die ab 1. Januar 2007 gelten soll. Sie bedeutet, dass für Einkommensteile, die über einem zu versteuernden Einkommen von über 250.000 Euro liegen, ein um drei Prozentpunkte höherer Spitzensteuersatz von 45 Prozent gelten soll. Auch eine Reform der Erbschaftssteuer werde diskutiert, so Kressl.

Kritiker monieren allerdings, dass die „Reichensteuer“ zu wenige Menschen betrifft. Der Begriff „Oberschicht“ ist ohnehin dehnbar – das vermögendste Zehntel der Bevölkerung besitzt im Schnitt laut Armuts- und Reichtumsbericht 624.000 Euro, Immobilien eingerechnet. Viele Leute dieser Vermögensklasse dürften sich aber als „Mittelschicht“ empfinden.

CHRISTOPH GERKEN