: Es fehlt an Wohnintelligenz
PASSIVHÄUSER Die tatsächliche Verringerung der Emissionen rechtfertigt laut Wohnungswirtschaft nicht den Aufwand – weil die Bewohner in ihren Häusern falsch leben
VON GERNOT KNÖDLER
Die Norddeutsche Wohnungswirtschaft hat vom Hamburger Senat verlangt, auf die geplante Einführung des Passivhausstandards zu verzichten. Der tatsächliche Minderverbrauch an Energie rechtfertige nicht die dafür anfallenden Mehrkosten. Er mache das Bauen unnötig teuer und treibe die Mieten in die Höhe, kritisierten der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) und der Bundesverband Freier Wohnungsunternehmen (BFW).
Die beiden Verbände vertreten mehr als 500 Wohnungsunternehmen und -genossenschaften mit rund 900.000 Wohnungen. Beim Versuch, der wachsenden Wohnungsknappheit entgegenzuwirken, spielen sie eine zentrale Rolle. Allein die VNW-Mitglieder haben im vergangenen Jahr 205 Millionen Euro in den Neubau investiert.
Den Energieverbrauch der Gebäude zu verringern ist ein wesentlicher Baustein im Klimaschutzkonzept des schwarz-grünen Senats. Bis dato fördert der Senat Wohnungsneubauten mit dem Standard KfW 70. Das heißt, das Haus darf höchstens 70 Prozent der Primärenergie in Anspruch nehmen, die es nach der gültigen Energie-Einsparverordnung (EnEV) verbrauchen dürfte. Die grüne Stadtentwicklungssenatorin Anja Hajduk überlege, mittelfristig in Hamburg den höheren Passivhausstandard zur Voraussetzung für eine Förderung zu machen, bestätigt ihr Sprecher Björn Marzahn. Das sei „Gegenstand eines Dialogs“.
Dieser scheint nicht funktioniert zu haben. Die Wohnungswirtschaft gab sich überrascht, „dass an Hamburger Zwangsregelungen gearbeitet werde“, wo sie doch einen Klimapakt vorgeschlagen habe. VNW und BFW baten daher die Kieler Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen, eine Forschungseinrichtung des Bundes, Kosten und Nutzen des Konzepts „Passivhaus“ auf den Zahn zu fühlen – also einem Haus, das nicht aktiv beheizt wird.
Die Arbeitsgemeinschaft verglich die Baukosten von rund 80 Ein- und Mehrfamilienhäusern im Passivhausstandard mit den Kosten, die entstanden wären, wenn nach den gesetzlichen Vorschriften gebaut worden wäre (EnEV). Dabei hätten sich die Passivhäuser als bis zu 30 Prozent teurer erwiesen.
Diese Zahl ist mit Vorsicht zu genießen, denn der BFW zitierte das Gutachten mit „durchschnittlich mehr als 30 Prozent“, während der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Wohnungsunternehmen, Holger Kowalski, von 15 bis 20 Prozent Mehrkosten ausgeht. Der Arbeitskreis Passivhaus geht von zehn bis 20 Prozent aus, die Stadtentwicklungsbehörde unter Verweis auf mehrjährige Erfahrungen von zehn Prozent. Mit der hohen Hamburger Förderquote verringerten sich die Mehrkosten auf fünf Prozent, wirbt die Behörde.
Indem sie den tatsächlichen Energieverbrauch von 35 passiven Ein- und Mehrfamilienhäusern untersuchte, hat die Kieler AG aber außerdem festgestellt, dass die Passivhäuser weniger nützen als erwartet: Der gemessene Energieverbrauch lag um 30 bis 40 Prozent über dem planerisch errechneten. Das liege daran, dass die Bewohner offensichtlich nicht mit den Passivhäusern umzugehen wüssten, sagt der Geschäftsführer der AG, Dietmar Walberg.
Seiner Analyse zufolge lohnt sich demnach gerade der Sprung vom ohnehin schon geförderten KfW 70-Standard zum Passivhaus nicht. Denn die warmen Bertriebskosten eines KfW 70-Hauses lägen zwar um ein Drittel unter denen eines EnEV-Hauses. Vom Kfw 70-Haus zum Passivhaus sei der Sprung aber nur noch klein – zumindest gemessen am tatsächlichen Energieverbrauch.
„Wer sich ein Passivhaus baut, muss bestimmte Werte leben und eine gewisse Wohnintelligenz mitbringen“, sagt der Verbandsvertreter Kowalski. Wenn die Bewohner trotz automatischer Lüftung mit Wärmerückgewinnung nachts die Fenster öffnen oder am Morgen vergessen, die Vorhänge aufzuziehen, funktioniert ein Passivhaus nicht richtig.
Dazu komme die Frage, ob Menschen bereit seien, beim Passivhaus auch mal eine Zimmertemperatur von knapp unter 20 Grad in Kauf zu nehmen, sagt Walberg. „Ich kann nur warnen vor Häusern, die weder von den Menschen akzeptiert werden, noch deren Technik ausreichend erprobt ist“, sagt der BFW-Nord-Vorsitzende Andreas Ibel.
„Der Nutzereinfluss wird umso größer, je besser wir die Häuser bauen“, sagt Walberg. Die höheren realen gegenüber den geplanten Verbräuchen lägen insgesamt auf einem sehr niedrigen Niveau, kontert der Arbeitskreis Passivhaus: „Passivhäuser schützen gerade Energieverschwender und erleichtern Wohnungsunternehmen den Umgang mit unachtsamen Mietern.“
An diesem Wochenende öffnen 14 Passivhäuser in und um Hamburg ihre Türen: www.tag-des-passivhauses.de