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Archiv-Artikel

Wer fürchtet sich vor Blau, Rot, Gelb

SCHRIFT Eine beeindruckende Sammlung illustrierter alter Handschriften und früher Drucke zeigt das Jüdische Museum in der Ausstellung „Die Erschaffung der Welt“

VON JULIA BRUMMERT

Fast still ist es, nur die Klimaanlage summt leise und sorgt für kühle Temperaturen. Auch Tageslicht gibt es hier kaum, denn das, was in der neuen Sonderausstellung des Jüdischen Museums zu sehen ist, ist zu wertvoll, als dass es einer gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre ausgesetzt werden sollte. Unten suchen SchülerInnengruppen und Familien ihren Weg durch das Labyrinth des Jüdischen Museums, oben im ersten Stock mag man fast nur flüstern.

Unter dem Titel „Die Erschaffung der Welt. Illustrierte Handschriften aus der Braginsky Collection“ zeigt das Museum 125 hebräische Handschriften und frühe Drucke. Dabei geht es um die zentrale Rolle von Text und Schrift im Judentum, die Ausstellung leistet aber mehr: Sie macht vor allem neugierig.

Der Leihgeber der Sammlung, René Braginsky, ein Unternehmer und Investor aus Zürich, hat die „Braginsky Collection“ über drei Jahrzehnte lang zusammengetragen. Die Ausstellung war in den vergangenen Jahren bereits in Zürich, Amsterdam, New York und Jerusalem zu sehen und zählt zu den bedeutendsten Sammlungen der Judaica. Braginsky selbst sagt, die Betrachtung der Stücke erfülle ihn mit einer gewissen Ruhe und Gelassenheit.

Dem kommt der Aufbau der Ausstellung entgegen. Man wird zuerst in den blauen Abschnitt geführt, in dem Bücher zu sehen sind. Darunter finden sich unter anderem Omer-Kalender, Haggadas oder Protokollbücher jüdischer Gemeinden und Grammatikbücher zur hebräischen Sprache. Großen Feiertagen und Familienfesten sind Regel- und Gebetsschriften gewidmet. Diese sind meist in vielen Farben illustriert und dem Anlass entsprechend aufwendig hergestellt. Zu den kostbarsten Handschriften der Sammlung zählt eine Abschrift des Gesetzestextes „Mische Tora“, verfasst von Moses Maimonides. Die Kopie entstand 1355 in Deutschland.

Wer sich mit den religiösen Bräuchen des Judentums nicht gut auskennt, wird vielleicht zuerst nur die Schönheit der Schrift und vor allem der Illustrationen bewundern. Hintergründe erschließen sich dann mithilfe einer für die Ausstellung entwickelten App, die in einem Glossar auch die hebräischen Begriffe erklärt. Außerdem erlaubt das Programm etwas, das mit den Originalen selbstverständlich nicht geht, auch wenn der Drang danach beim Betrachten wächst: das Blättern in den Büchern.

In einem von Tageslicht durchfluteten kleinen Raum kann man zu bestimmten Zeiten Tora-Schreiber und Rabbiner Reuven Yacobov dabei zuschauen, wie er an einer Kopie des Pentateuch arbeitet. Dabei zeigt Yacobov eindrucksvoll, wie kleinteilig, präzise und mühevoll die Abschrift der heiligen Schriften abläuft.

Auf schrägen Wänden werden im zweiten und roten Teil der Ausstellung sogenannte Kettubot gezeigt, reich verzierte jüdische Hochzeitsverträge. Diese halten den rechtlichen Status und das Eigentum der Braut fest und regeln die Verpflichtungen des Bräutigams. Die Kettuba wird bei der Hochzeitsfeier vorgelesen und den Gästen präsentiert. Wie das klingen kann, können die MuseumsbesucherInnen über einen Kopfhörer hören.

Im letzten, gelb gehaltenen Raum sind Esther-Rollen ausgestellt, aus denen beim Purimfest gelesen wird. Dabei sind nicht nur die Schrift und die Illustrationen wunderschön, meist sind die Texte in Rollen aus Holz, Elfenbein oder unterschiedlichen Metallen eingefasst.

Die Ausstellungsstücke belegen eindrucksvoll, welchen Einfluss immer auch das Umfeld auf die Schriften hatte. Verfolgungen, Pogrome und Antisemitismus zwangen jüdisch Gläubige immer wieder, ihre Heimat zu verlassen und eine neue zu finden. Die Zeichnungen, die die Schriften einrahmen, zeigen Protagonisten der Geschichten zeitgenössisch gekleidet, etwa in goldenen Ritterrüstungen.

Auch andere Religionen haben ihre Spuren hinterlassen, es finden sich biblische Darstellungen und auch Verzierungen, die an persische Koranzeichnungen erinnern.

Dass es in der Kunst des schönen Schreibens viele kulturelle Verwandtschaften gibt, ist ein weiterer Aspekt: In einem Nebenzimmer entfalten Kalligrafen ihre arabische, lateinische und chinesische Handwerkskunst. Am Ende des Rundgangs bleiben Bewunderung und Neugier. Letztere lässt sich vielleicht durch einen Besuch in der Dauerausstellung des Jüdischen Museums stillen. Dort werden dann auch vielleicht offengebliebene Fragen zur jüdischen Tradition beantwortet.

■ „Die Erschaffung der Welt“, Jüdisches Museum, bis 3. August, Mo. 11–22 Uhr, Di.–So. 10–20 Uhr. Katalog: „Schöne Seiten. Jüdische Schriftkultur aus der Braginsky Collection“. Hgs. von Emile Schrijver u. a., Verlag Scheidegger & Spiess (336 S., 226 Abb., 45 Euro)