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Archiv-Artikel

„Im Grunde sind wir hier Mädchen für alles“

TAZ-SERIE TEMPELHOFER FELD Gert Köppe hat mehr als nur die Parkordnung im Blick. Er ist gefragt, wenn mal ein Kind seine Eltern in den Weiten des Felds verloren hat. In einer Weite, auf die Köppe gern schaut. Eine Runde mit dem Sicherheitsdienst übers Tempelhofer Feld

Gert Köppe

■ 47, ist gelernter Elektromechaniker, war lange auf Montage und hat dann im Sicherheitsdienst begonnen. Seit 2010 ist er Objektleiter Sicherheitsdienst auf dem Tempelhofer Feld. Köppe wohnt mit seiner Familie in Karlshorst.

GESPRÄCH PATRICIA HECHT

Die ganze Woche herrscht strahlender Sonnenschein. Ausgerechnet, als wir uns treffen, um eine Runde in Gert Köppes Auto zu drehen, schüttet es wie aus Kübeln. Über dem Tempelhofer Feld hängen dicke, graue Wolken.

taz: Herr Köppe, so ein blödes Wetter …

Gert Köppe: Ach, mich stört das nicht. Es kann sehr schön sein hier auf dem Feld, wenn es regnet. Manchmal hat man direkt über einem die Regenfront, die ganz tief hängt, und nur ein paar Meter weiter ist man schon im Trockenen.

Wir steigen ins Auto ein und fahren auf der Start-und-Lande-Bahn Süd los.

Jedes Wetter bringt so seine Schönheit mit sich. Die sieht jeden Tag anders aus, diese Fläche hier. Frühmorgens nehme ich mir manchmal ein paar Minuten Zeit und beobachte das Wetter, und da werden zum Teil riesige Nebelschwaden von der Sonne hochgezogen, das ist bombastisch. Oder wenn im Winter eine geschlossene weiße Schneedecke hier liegt, die Langläufer sind unterwegs und die Sonne scheint auf diese weite Fläche, das ist ganz wunderbar. Und herrlich ist es natürlich auch im Sommer, wenn der Himmel blau ist…

und das Feld voller Menschen.

Ja sicher, an manchen Tagen, an den schönen Wochenenden, sind hier bis zu 40.000 Menschen. Da muss man immer ein bisschen vorsichtig sein, dass einem die Leute nicht vors Auto laufen. Der Fahrer passt auf, und der Beifahrer hat links und rechts im Blick, ob er eingreifen muss.

Wann müssen Sie denn eingreifen?

Wenn die Parkordnung nicht eingehalten wird, ein Grill gelöscht werden muss, wenn es voll ist und Kinder ihre Eltern verloren haben oder umgekehrt, oder wenn jemand nach einem Unfall versorgt werden muss. Im Grunde sind wir hier Mädchen für alles.

Drehen Sie denn den ganzen Tag Ihre Runden?

Ja, wir sind 24 Stunden am Tag mit Fahrrädern, Autos und zu Fuß im Park unterwegs.

Immer im Kreis?

Immer der Nase nach, wonach uns gerade ist.

Da haben Sie wahrscheinlich schon ein paar Mal die Welt umrundet.

Dieses Auto hier ist erst ein Jahr alt und hat schon 80.000 Kilometer. Also ja, da dürften ein paar Umrundungen zusammen kommen.

Ist das ein eintöniger Job, den Sie hier machen? Oder ein sehr entspannter?

Die Arbeit ist schon abwechslungsreich. Je wärmer es wird, desto mehr ist los. Dann überschlagen sich die Ereignisse manchmal, und man ist abends richtig fertig. Andere Tage sind sehr ruhig, da kann man sich auch mal ein paar Minuten gönnen und auf das Feld schauen. Das macht ein Fischer, der mit seinem Kutter auf hoher See unterwegs ist, ja genauso. Der guckt übers Wasser und freut sich.

Sie und Ihre Kollegen sind auch diejenigen, die den Zaun morgens auf- und abends zuschließen. Wann fangen Sie da an?

Das richtet sich nach dem Tageslicht. Momentan öffnen wir das letzte Tor um sechs Uhr früh. Da warten dann schon die ersten Jogger, die noch vor der Arbeit ihre Runde drehen wollen. Mittlerweile kenne ich die schon und begrüße sie mit Handschlag. Ich mag das, dass man mit den unterschiedlichsten Leuten ins Gespräch kommt. Als ich mal mit einem Kollegen unterwegs war, um die Tore abends wieder zu schließen, saßen da noch sieben, acht Damen herum, die ziemlich angeheitert waren. Es hat sich dann herausgestellt, dass das ein Junggesellinnenabschied war, und die letzte Aufgabe, die da auf der Liste der künftigen Braut stand, war: Sie musste einen Männerchor finden, der ihr ein Ständchen bringt. Die Damen wollten den Park auch partout nicht verlassen, ohne das erledigt zu haben. Wir haben uns dann irgendwann erbarmt.

Kommt es auch vor, dass die Leute sich einschließen lassen, um die Nacht hier zu verbringen?

Kommt vor. Aber das geht natürlich nicht. Es ist wirklich wahnsinnig dunkel hier nachts, es gibt keine Laternen, nirgends ein Licht, man sieht die Hand nicht vor Augen.

Aber finden Sie denn dann immer alle?

Davon gehe ich mal aus (lacht).

Müssen Sie jetzt ja sagen.

Sie sehen ja, wie groß das Gelände ist. Es ist Hausfriedensbruch, wenn das gemacht wird. Aber wenn sich mittig einer auf die Wiese legt und still hält – mag sein, dass wir auch mal einen übersehen. Es kommt auch auf die Witterungsbedingungen an: Wenn der Vollmond hier übers Feld scheint, sieht man die Leute schon.

Nachts muss es überhaupt sehr schön sein. Die Sterne, die Lichter der Stadt in der Ferne…

Ist es, ja. Dieses Jahr habe ich zum Beispiel an Silvester gearbeitet. Es sah natürlich bombastisch aus, als um Mitternacht rings herum das Feuerwerk hoch ging.

Sie hatten das ganze Feld für sich an Silvester! Sekt dabei gehabt?

(lacht) Nein …! War aber trotzdem schön.

Das Licht wechselt, die Sonne kommt heraus, die Vögel beginnen zu zwitschern.

Der Volksentscheid

■ Am 25. Mai stimmen die BerlinerInnen darüber ab, ob das Tempelhofer Feld bebaut werden soll. Der Senat will an drei Rändern des ehemaligen Flugfelds rund 4.700 Wohnungen, außerdem Gewerbegebäude errichten. Die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ will die Bebauung des rund 380 Hektar großen Areals dagegen komplett verhindern. Dafür müssten beim Volksentscheid die Mehrheit der TeilnehmerInnen und zugleich mindestens ein Viertel aller Berliner Wahlberechtigten für den Gesetzentwurf der Volksinitiative stimmen. Am 25. Mai sind außerdem Europawahlen. (taz)

Die Wiese hier zwischen den Start-und-Lande-Bahnen haben wir gerade mit Flatterband abgesperrt, damit die Feldlerche nicht gestört wird, die hier brütet. Wenn die einmal von ihrem Gelege aufgeschreckt wurde, kommt sie nie wieder. Die ganzen Jahre, als hier die Flugzeuge gestartet und gelandet sind, hat ihr das nichts ausgemacht. Nur Menschen stören sie halt auf der Fläche.

Wie reagieren die Leute denn auf Sie?

Zu 99 Prozent sehr nett, friedlich und verständnisvoll. Hin und wieder ist auch mal jemand dabei, der ein bisschen provoziert, zum Beispiel wenn wir die Tore wieder verschließen und die Leute sind schon etwas alkoholisiert. Und unser kleines Dauerproblemchen sind die Hunde. Die einen beschweren sich über die frei laufenden Hunde, und die anderen darüber, das sie ihre Hunde anleinen müssen. Es gibt dann sehr unterschiedliche Reaktionen, wenn wir die Leute ansprechen und darum bitten, die Tiere an die Leine zu nehmen – ich nenne es mal ungehaltene Reaktionen. Manchmal hat das was vom Murmeltiertag.

Den Film meinen Sie?

Ja. Manchmal hat man mit denselben Menschen um dieselbe Uhrzeit dasselbe Problem wie am Tag zuvor.

Eine Radfahrerin schließt zu uns auf, klopft an die Scheibe und fragt empört, ob wir sie gerade fotografiert hätten. Sie hat den Blitz des Fotografen gesehen, der mit im Auto sitzt und Gert Köppe fotografiert hat. Wir erklären die Situation.

Ja, das passiert. Das werden wir ab und zu mal gefragt, ob wir Fotos machen. Manchmal blinkt etwas am Auto im Sonnenschein, dann kommt das vor. Aber wir fotografieren die Leute natürlich nicht. In solchen Situationen ist es ganz schön, wenn wir eine Frau im Team haben.

Warum?

Da reagieren die Leute doch anders, entspannter. Wenn man da einen Macho vor sich hat, der nimmt sich dann vielleicht doch eher zurück, als wenn ich ihn anspreche.

Können Sie das Feld denn jenseits der Arbeit noch genießen?

Ich genieße es oft, während der Arbeit hier zu sein. Aber privat komme ich nicht. Ich bin jeden Monat 200 Stunden hier, das reicht. Wenn ich in einen Park gehe, dann eher in den Britzer Garten oder nach Marzahn in die Gärten der Welt.