: Carl Mørck lässt es krachen im Sonderdezernat Q
CRIME SCENE Auf das „Erbarmen“ folgt die „Schändung“: Der Däne Jussi Adler-Olsen hat den Schweden Stieg Larsson mittlerweile als Bestsellerkönig abgelöst. Inzwischen macht er mit zwei Romanen gleichzeitig deutsche BuchhändlerInnen glücklich
Psychologisches Feintuning ist nicht so seins. Seine Charaktere segeln haarscharf an der Grenze zur Karikatur dahin, so grob sind die Striche, mit denen er sie zeichnet. Die Handlungen seiner Romane sind aufsehenerregende Fälle von extremer Gewalt, verquickt mit reichlich Sex & Drugs. Da wird ordentlich geklotzt; und wenn mal gekleckert wird, dann mit allerlei Körperflüssigkeiten.
Doch sicher sind das nicht die einzigen Qualitäten, die dem Dänen Jussi Adler-Olsen einen verlässlichen oberen Platz auf den Bestsellerlisten garantieren. Mit Stieg Larsson wird er gern verglichen, was nicht so verkehrt ist. Ein actiongetriggerter Handlungsverlauf ist für beide typisch, ein überlegenes Timing; und wie Larsson, so hat auch Adler-Olsen ein Faible für starke Frauen – deren sexuelles Attraktionspotenzial er allerdings mitunter überdeutlich ausstellt. Aber da, siehe oben, all seine Figuren auf eine fast comichafte Art überzeichnet sind, Adler-Olsen zudem humorbegabt ist, kann man das glatt durchgehen lassen. Auch bei der Figur von Mørcks syrischem Assistenten Assad hatte er es mit den exotisierenden Stereotypen im ersten Carl-Mørck-Roman „Erbarmen“ etwas übertrieben.
Im jetzt erschienenen zweiten Carl Mørck, „Schändung“, ist Assad schon ein fast normaler Typ, auffällig nur im Hinblick auf die Angewohnheit, zu stark gesüßten Pfefferminztee zu trinken – allerdings schon ein bisschen zu gut, um wahr zu sein. Als Dritte im Sonderdezernat Q ist im zweiten Band Rose hinzugekommen, eine starrköpfige, temperamentvolle junge Frau, die den Grantler Mørck durch ihre unübertroffene Effizienz für sich einzunehmen weiß. Damit wäre nun auch die feministische Quote erfüllt.
Das Sonderdezernat Q, das im ersten Band von den Vorgesetzten gegründet worden ist, um den Querulanten Mørck endlich aus dem Blick zu haben, beschäftigt sich mit der Klärung ungelöster Fälle, deren Akten in den Archiven verstauben. In „Schändung“ hat das Sonderdezernat es mit einer besonders scheußlichen Tat zu tun. Ein jugendliches Geschwisterpaar ist, mehr als zwanzig Jahre zuvor, brutal erschlagen worden. Jahre später wurde ein Täter verurteilt, doch Mørck und sein Team halten den Verurteilten für ein Bauernopfer und vermuten die wahren Schuldigen in einer Clique von sadistischen ehemaligen Internatszöglingen, die mittlerweile zur Geld- und Machtelite Dänemarks gehören. Eine Frau, die früher im Mittelpunkt der Gruppe stand, scheint der Schlüssel zur Lösung des Falls zu sein.
Mittlerweile lebt diese Kimmie, obwohl steinreich, auf der Straße – und ist den Ermittlern, die immer auf dem richtigen Weg, aber doch einen Schritt zu spät dran sind, stets voraus. So gelingt es Mørck und den anderen zwar, die Geschichte hinter dem Mord aufzudecken, die sich unter anderem um ein vernachlässigtes kleines Mädchen aus reichem Hause dreht, das erst im Internat sozialen Halt fand. Kimmies gründlichen Rachefeldzug aber können sie nicht aufhalten. Und das ginge auch ganz gegen Adler-Olsens erzählerische Logik.
Es muss ordentlich krachen. Und genau das ist es ja auch, was wir von ihm wollen. Nicht mehr und nicht weniger.
KATHARINA GRANZIN
■ Jussi Adler-Olsen: „Schändung“. Aus dem Dänischen von Hannes Thiess. dtv, München 2010. 459 Seiten, 14,90 Euro