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Archiv-Artikel

Erst kiffen, dann strippen

Hat die nackte Ingrid Steeger tatsächlich rohen Charme? Das Babylon-Kino in Mitte zeigt immer mittwochs ausgewählte Exploitation-Filme der Sechziger- und Siebzigerjahre

Da richtige Pornografie im Kino damals noch verboten war,gibt es angedeutete,oft deprimierende Sexszenen

Mit Kategorien wie Kunst und Kommerz ist es komisch, und die Rezeption dessen, was damit gemeint ist, verändert sich auch mit der Zeit. So werden die Exploitation-Filme vergangener Zeiten etwa zu Liebhaberfilmen spezialistischer Nerds, die sich am kruden Charme des Gemachten berauschen. Was einmal Schund genannt wurde, reflektiert zuweilen, von den Nachgeborenen aus der zeitlichen Entfernung mit Gewinn betrachtet, gerade im Missglückten oder Falschen die gesellschaftlichen Verhältnisse genauer, in der das entstand, als manche Werke der anerkannten Filmkunst.

Doch das ist nicht die einzige Verschiebung. Während das hierzulande herrschende Subventionskino immer billiger aussehe, als es in Wirklichkeit ist, bemühe sich das Exploitationkino der 60er- und 70er-Jahre darum, immer teurer auszusehen, als es eigentlich war, sagt Philipp Stiasny. Beispiele kennt er genug: Seit einiger Zeit präsentiert Stiasny mit Jürgen Dittrich jeden Mittwoch um 22 Uhr im Filmkunsthaus Babylon seltsame Filme.

Nachdem die beiden „Freunde des schrägen Films“ eine Entdeckungsreise ins Reich des immer wieder gern hervorgekramten B-Filmers William Castle („The Tingler“!) machten oder seltsame europäische Vampirfilme der 60er- und 70er-Jahre präsentierten, zeigen sie nun in ihrem sechsten Programm „Deutsches Exploitation-Kino der 60er- und 70er-Jahre“.

Es sind recht liebevolle, mit fachmännischen Einleitungen versehene Veranstaltungen, die das Publikum genießt, auch wenn oder gerade weil die Bilder undeutlicher sind als im zeitgenössischen Hochglanzkino üblich. So tritt das Gemachte als automatischer Entfremdungseffekt hervor. Selbst Filme, die frühere Generationen in Angst und Schrecken versetzten, wie im Splattergenre etwa Wes Cravens „The Hills have eyes“, kann man nun distanziert betrachten.

Egal. Das deutsche Exploitation-Kino der 60er- und 70er-Jahre besteht aus schnell und unabhängig hergestellten Filmen, in denen es um Horror, Sex und Gewalt, Drogen, Sekten und Sadismus geht. Es sind voyeuristische, oft europäische Co-Produktionen, die sich an der internationalen Populärkultur orientieren.

„Obwohl dieses Exploitation-Kino keine künstlerischen Ambitionen erkennen lässt, überrascht es immer wieder durch seinen Einfallsreichtum, seine Schnörkellosigkeit und seinen rohen Charme“, finden die Freunde des schrägen Films, die heute Abend Jack Hills „Ich, ein Groupie“ präsentieren.

Der Film, in dem Ingrid Steeger die Hauptrolle spielt, ist ein znyisches Roadmovie, das in Hippiekreisen in London, Amsterdam, Zürich und Berlin spielt. Eine junge Frau, Ingrid Steeger, verliebt sich in London in einen Rocksänger und reist ihm mit ihrer Freundin hinterher. Die Protagonisten rauchen viel Hasch aus langen, dünnen Pfeifen. Da Pornografie damals verboten war, gibt es angedeutete, oft deprimierende Sexszenen, die immer gleich aufgebaut sind: zunächst wird gekifft, dann zieht sich die Frau ganz aus, dann der Mann bis auf die Unterhose usw. Verschiedene Positionen werden im Rahmen des Gestatteten durchdekliniert. Ingrid Steeger wirkt in dem Film immer, als stehe sie neben sich selbst. Am furchtbarsten ist eine Szene, in der sie irgendeinem hässlichen Trommler auf der Bühne einen bläst. Mal wird sie auch von fiesen Rockern eingefangen, um dann fröhlich nackt mit ihnen herumzufahren. Frei wirkt hier gar nichts. Skurril ist manches.

Der Film ist ein zynisches Gegenstück zu den bekannten Hippiepropagandafilmen und möglicherweise nicht unrealistischer als diese. Den schnellen Weg vom Hasch zum Heroin gingen ja viele der deutschen Hippiepropagandisten. Interessant sind auch die tristen dokumentarischen Aufnahmen der deutschen Band Birth Control, der Auftritt des Berliner Playboys Rolf Eden und das schlimme Ende.

„‚Ich, ein Groupie‘ ist ein unterschlagener Film, der in einer noch zu schreibenden Geschichte der Girlie-Kultur seinen Platz finden muss“, hieß es vor ein paar Jahren in der Süddeutschen Zeitung. Nun ja.

DETLEF KUHLBRODT