Vom fußballerischen Schliff der Rohdiamanten

Die Nachwuchsarbeit des Fußballbundesligisten Hertha BSC gilt inzwischen als vorbildlich. Beispiel dafür ist das Hertha-Internat, in dem 18 Spieler ausgebildet werden. Tatsächlich aber hat der Verein keine Alternative. Teure Spielerkäufe in der Vergangenheit haben den Schuldenberg wachsen lassen

VON JOHANNES KOPP

„Vielleicht gehöre ich ja auch zu den Rohdiamanten“, sagt Armando Schmoldt leise. Armando ist 16 Jahre alt, steht bereits im Kader der A-Jugend von Hertha BSC und träumt davon, später einmal bei den Profis mitzuspielen. Seine etwa 20 Mannschaftskollegen würden von derselben Vorstellung angetrieben. Zu hundert Prozent, versichert Armando.

Beflügelt werden diese Fantasien derzeit von der Entwicklung im Profiteam. Anstatt sich mit erfahrenen Profis von außen zu verstärken, ergänzte Hertha in den letzten drei Jahren den Kader vor allem mit Spielern, die man selbst angelernt hatte. In der „Hertha-Akademie“, wie der Verein seine Ausbildungsstätte etwas hochtrabend nennt. Mit Malik Fathi, Sofian Chahed, Kevin-Prince Boateng und Patrick Ebert gehören bereits vier Hertha-Akademiker zum Profiteam. Andere wie Solomon Okoronkwo, Ashkan Dejagah, oder Chinedu Ede machen sich auf der Bank Hoffnungen auf die ersten Kurzeinsätze.

Tatsächlich schlug sich das verjüngte Team zu Beginn der Saison überraschend gut. Zweimal standen die Berliner an der Tabellenspitze der Bundesliga. Und schon titelten Sportredakteure einem Berufsreflex folgend: „Die jungen Wilden“. Innerhalb von wenigen Wochen hat Hertha ein positives Image verpasst bekommen.

Daran bastelt der Verein kräftig mit. Am Montag drehte ein Kamerateam des RBB in den Räumen des Hertha-Internats – allerdings nicht für die „Abendschau“. „Die arbeiten heute für uns“, teilte Hans-Georg Felder, der Pressesprecher von Hertha und Begleiter des Trosses, gut gelaunt mit. Der Verein hatte den RBB beauftragt, einen Film für die Videowand im Olympiastadion zu produzieren. In dem soll die Jugendarbeit des Vereins gepriesen werden.

Dabei ist das Jugendkonzept der Hertha mehr als ihr Internat, sagt Frank Vogel, der Koordinator der Jugendarbeit. In der „Akademie“ stehen 18 Plätze für Hochbegabte zur Verfügung, deren Eltern nicht in Berlin leben. „Ansonsten konzentrieren wir uns auf die Stadt. Bei einer Einwohnerzahl von 3,5 Millionen ergibt sich natürlich eine hervorragende Talentbasis“, erklärt Vogel.

Insgesamt betreut Vogel etwa 200 Kinder und Jugendliche auf dem Vereinsgelände. In Zusammenarbeit mit einer Schule im Westen und einer im Osten der Stadt wurden Hertha-Klassenverbände eingeführt. So können Stundenpläne an Trainingseinheiten angepasst werden. 15-Jährige absolvieren bereits sechs bis acht Einheiten pro Woche. Alle Altersklassen trainieren nach einem einheitlichen Konzept.

Geplant wurde der systematische Aufbau der Jugendarbeit schon 1999. Vorbilder waren Vereinszentren in Frankreich und Holland, erzählt Vogel. Aber man habe sich auch das eine oder andere in Deutschland abgeguckt – bei Bayer Leverkusen und dem VfB Stuttgart zum Beispiel.

Inzwischen wird Herthas Jugendarbeit von allen gelobt. Kürzlich war sogar Bernhard Peters da, der ehemalige Hockeynationaltrainer, und hat sich auf der Anlage umgeschaut. Der Besuch wertete das Berliner Konzept weiter auf. Wird doch alles, was die Neugier von Peters erregt, für zukunftsweisend gehalten, seitdem ihn Klinsmann zum DFB-Sportdirektor ernennen wollte.

Tatsächlich sprechen die Erfolge für eine gelungene Arbeit von Frank Vogel und seinem Trainer-Team. In der vergangenen Saison wurden 34 Hertha-Jungs für die Juniorenauswahlmannschaften des DFB nominiert. Im August wurde mit Fathi der erste Spieler aus dem Internat in die Nationalmannschaft berufen. Kurz darauf kam mit Alexander Madlung, der inzwischen für Wolfsburg spielt, ein zweiter hinzu.

Während seines Besuchs auf dem Hertha-Gelände wollte Trainer Peters deshalb wissen, welche Strukturen hinter diesen Erfolgen stehen. Jugendkoordinator Vogel hat ihn daraufhin über die „fußballerische Konzeption“, die Mittel der medizinischen Testdiagnostik sowie die „mentale Aufbereitung“ informiert.

Mit Letzterem meint Vogel die Ausbildung jenseits des Sportlichen. Der gesellschaftliche Werteverfall bringe es mit sich, dass auch der Verein die Spieler in ihrer persönlichen Entwicklung auf das Leben vorbereiten müsse. In gewissen sozialen Schichten seien die Eltern dazu nicht mehr in der Lage, erklärt Vogel.

So durchdacht die sportliche Ausbildung bei Hertha ist – die pädagogische Arbeit scheint eher amateurhaft betrieben zu werden. Für das Internat hat Hertha als „Ersatzeltern“, also als ständige Ansprechpartner, ein Ehepaar engagiert, das zuvor in der Möbelbranche tätig war. Eine erstaunliche Personalentscheidung, versteht sich doch der Verein als professionelles Unternehmen. Nach erzieherischen Maßnahmen gefragt, fallen Vogel folgende Beispiele ein: Im Sommer schaute man sich ein Theaterstück über das Scheitern eines Fußballprofis an. Michael Preetz aus dem Management hielt irgendwann einen Vortrag über das Auf und Ab seiner Profi-Karriere. Einmal habe er selbst, erinnert sich Vogel, einen Spieler, der des Öfteren zu viel getrunken hatte, gebeten, vor versammelter Mannschaft etwas über die Gefahren des Alkohols zu erzählen – „damit alle etwas davon haben“. Zumindest für die Hausaufgabenbetreuung im Internat hat der Verein eine professionelle pädagogische Kraft eingestellt.

Die Herthaner sind dennoch stolz darauf, wie viel Geld sie in den Nachwuchs investiert haben. Etliche Millionen wurden in den Aufbau der Hertha-Akademie gesteckt. Die laufenden Kosten betragen derzeit etwa 4,5 Millionen Euro pro Saison. Das sind etwa acht Prozent des Gesamtetats.

Der Zweitligist SC Freiburg, der bekannt für seine gute Jugendarbeit ist, wendet hingegen fast 20 Prozent seines Budgets auf. Das relativiert etwas das oft als außergewöhnlich bezeichnete Engagement von Hertha. „Geld allein ist aber kein aussagekräftiger Maßstab zur Bewertung von Nachwuchsförderung“, wendet der Freiburger Manager Andreas Bornemann ein. Verglichen mit seinem Verein und vielen anderen Bundesligisten habe Hertha große Standortvorteile bei der Talentsuche: die Größe der Stadt und keinen Konkurrenten weit und breit.

Dennoch wird es spannend sein, inwieweit die Hertha ihrem neu erworbenen jugendlichen Image gerecht werden kann. Gerne stellt Manager Dieter Hoeneß das jetzige Profiteam als Folge einer seit Jahren geplanten Strategie dar. Als Schlüsselereignis bezeichnet er dabei den Kauf von Sebastian Deisler, der 1999 für zwei Millionen Euro nach Berlin geholt wurde. Danach hätte man sich entschlossen, die „Deislers“ von nun ab selbst auszubilden, so Hoeneß.

Kurz darauf überwies der Club allerdings für Alex Alves acht Millionen Euro nach Brasilien. Noch immer gab man jede Menge Geld aus, ohne über eigenes zu verfügen. Hoeneß selbst träumte von einer Fahrt mit der Meisterschale durchs Brandenburger Tor. Doch das Team konnte den hohen Ansprüchen nicht gerecht werden. Im Mai dieses Jahres vermeldete der Verein einen Schuldenstand von knapp 49 Millionen Euro – ein Rekord in der Vereinsgeschichte.

Gewiss kann man dem Management von Hertha zugute halten, dass es im Nachwuchsbereich gut gearbeitet hat. Dies verdeckt aber derzeit Fehler aus der Vergangenheit, die dazu geführt haben, dass der Verein über keine Handlungsoptionen mehr verfügt. Man muss den Jungen einfach vertrauen. Von einem wirklichen Konzept wird man erst sprechen können, wenn der Club finanziell wieder handlungsfähig ist und dennoch den eingeschlagenen Weg fortsetzt.