: Zwitschernde Hände
Klang wird zur Bewegung im Raum: Die erste LP der Gruppe Die Tödliche Doris gibt es nun auf DVD – als gesellschaftlich anschlussfähige Performance in Gebärdensprache
Es war ein kluger Einfall. Warum nicht ein Festival mit „Gehörloser Musik“ machen? Unter diesem Motto hatten die Freunde Guter Musik und die Volksbühne im November 1998 verschiedene Klangkünstler in den Prater eingeladen. Ein Höhepunkt damals: der Auftritt von Dina Tabbert und Andrea Schulz. Die beiden Frauen sind Gebärdendolmetscherinnen. Als ehemaliges Mitglied der Tödlichen Doris hatte Wolfgang Müller sie gebeten, die erste LP der Performance-Gruppe in Gebärden für Gehörlose zu übersetzen, während er parallel das Album von 1981 für den Rest des Publikums abspielte.
Daraus ergaben sich tolle Konstellationen, die auf einer jetzt erschienenen DVD dokumentiert sind. Schon der Name der Band sieht als Gebärde seltsam aus: „die“, das ist ein Zeigefingerzeig unter das Kinn; „tödlich“ wird mit dem Durchschneiden der Kehle signalisiert; und für „Doris“ muss man mit der linken Hand eine Art Spitzbart formen. Doch das war erst der Anfang: Immerhin durften Tabbert und Schulz 40 Minuten experimentelle Musik von Flötenspiel über Trommelgedresche bis hin zu dadaistischen Soundcollagen für Gehörlose übersetzen. Außerdem sind die Texte auch nicht ganz einfach gestrickt, wenn man an Verse denkt wie „Rad der Schikane / die Mastitis exaltiert / alle sind wie Geiseln“.
Was Anfang der 80er-Jahre als Punk-Dilettantismus galt, sieht auf der Bühne wie unglaublich diszipliniertes Ballett aus. Mal umschleicht Tabbert ihre Kollegin und deutet mit schiebenden Armbewegungen eine Akkordeonmelodie an. Dann wieder werden Laut- und Leise-Abstufungen getanzt, zu denen auf Platte bloß ein fernes Rascheln zu hören ist. Hände zwitschern, Finger brüllen „Der Tod ist ein Skandal!“. Minimalismus und Expressivität wechseln sich in den Gebärden ab – was gut zur Musik passt.
Doch Müller geht es mit der Übersetzung von ziemlich viel Krach in mucksmäuschenstillen Modern Dance nicht darum, die zwei Darstellungsebenen gegeneinander auszuspielen. Die Gebärden-Performance hat einen ganz eigenen Zuschnitt: Klang wird zum Körper, zur Bewegung im Raum. Das ist konzeptuell gedacht, aber auch gesellschaftlich anschlussfähig. Denn Gehörlose, so erklärt Müller im Bonus-Interview, haben keine Probleme damit, dass sie nicht hören können. Aber ihnen fehlt oft jemand, der ihre Art zu kommunizieren versteht. Insofern ist die DVD nicht bloß die Wiederauflage einer raren Platte, sondern auch eine Einübung darin, wie andere mit den Augen hören. HARALD FRICKE
Wolfgang Müller/Die Tödliche Doris: Gehörlose Musik (DVD; Edition Kröthenhayn