Tote und Verletzte in Slawjansk

UKRAINE Spezialeinheiten beginnen Militäreinsatz im Osten des Landes. Russlands Präsident Putin droht mit Konsequenzen

„Ich habe einfach nur Angst vor einem Krieg“

VERKÄUFERIN IN JENAKIJEWO

SLAWJANSK/ST. PETERSBURG/JENAKIJEWO afp/dpa/taz | Bei einem Einsatz von Spezialeinheiten im ostukrainischen Slawjansk sind nach Angaben des Innenministeriums „bis zu fünf“ prorussische Aktivisten getötet und ein ukrainischer Soldat verletzt worden. Drei Kontrollpunkte nördlich von Slawjansk wurden zerstört. Die ukrainische Armee hatte am Vormittag mit der Aktion begonnen, um die Kontrolle über die Stadt zurückzuerlangen, die seit Tagen in den Händen kremltreuer Gruppen ist. Mehrere Panzer fuhren auf, es waren Schüsse zu hören.

Der selbsternannte „Bürgermeister“ von Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarew, wies alle Zivilisten an, das Rathaus zu verlassen. Die Aktivisten zogen sich in Verteidigungsstellungen zurück. In den Nachbarorten von Slawjansk wurden den Behörden zufolge die Schulen geschlossen.

Im Osten der Ukraine ist die Lage seit Tagen hoch explosiv. Neben Slawjansk befinden sich rund zehn weitere Städte in den Händen von prorussischen Gruppen. Sie halten unter anderem Verwaltungsgebäude und Polizeiwachen besetzt.

Die Ukraine, Russland, die Europäische Union und die USA hatten in der vergangenen Woche in Genf ein Abkommen ausgehandelt, das die „Entwaffnung illegaler bewaffneter Gruppen“ in der Ukraine sowie die Räumung besetzter Gebäude vorsieht.

Die Kontrolle über das Rathaus im südöstlichen Mariupol eroberten ukrainische Sicherheitskräfte mittlerweile von prorussischer Kräfte zurück. „Das Rathaus ist befreit“, schrieb Innenminister Arsen Awakow im Onlinenetzwerk Facebook.

Die örtliche Polizei erklärte hingegen, rund 30 vermummte und mit Baseballschlägern bewaffnete Männer hätten am Morgen das Gebäude gestürmt und auf die Demonstranten eingeschlagen. Fünf Menschen seien in ein Krankenhaus gebracht worden, sagte eine Polizeisprecherin. Die Polizei stehe mit den verbleibenden Demonstranten in Verhandlungen, um sie zum Verlassen des Gebäudes zu bewegen.

Im knapp 50 Kilometer südöstlich von Slawjansk gelegenen Artjomowsk wehrten ukrainische Soldaten eine Offensive von etwa 100 Angreifern auf eines der größten Waffenlager der Ukraine ab. Die Unbekannten hätten die Kaserne unter anderem mit Granaten attackiert, sagte Interimspräsident Alexander Turtschinow in Kiew. Ein Soldat sei leicht verletzt worden, während die Angreifer „große Verluste“ erlitten hätten, sagte er. Unabhängige Berichte gab es nicht.

Russlands Präsident Wladimir Putin reagierte umgehend mit scharfen Worten auf den „Anti-Terror-Einsatz“. Dieser werde „ohne Frage Konsequenzen für diejenigen haben, die diese Entscheidungen treffen, vor allem für die zwischenstaatlichen Beziehungen“, sagte er in St. Petersburg. Die prowestlich eingestellte Übergangsregierung in Kiew bezeichnete er als „Junta“.

Außenminister Sergej Lawrow warf den USA und der EU in einer Rede an der Universität in Moskau vor, hinter den prowestlichen Protesten zu stecken, die im Februar zum Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch geführt hatten. Die Ukraine werde als „Schachfigur in einem geopolitischen Spiel benutzt“, sagte Lawrow. Der Westen und vor allem die USA glaubten, Russland bei europäischen Fragen ausschließen und Handlungen unternehmen zu können, die „Russlands Sicherheitsinteressen schaden“.

US-Präsident Barack Obama sagte am Donnerstag, die USA wollten sich zwar weiter um eine diplomatische Lösung in der Ukraine-Krise bemühen. Er schloss aber weitere Sanktionen gegen Russland nicht aus. Seine Regierung habe Vorbereitungen für die Möglichkeit getroffen, dass das Genfer Abkommen zwischen Russland, den USA und der EU sowie der Ukraine nicht die versprochenen Ergebnisse bringe, sagte Obama in Tokio.

In der rund 50 Kilometer von Donezk entfernt gelegenen Stadt Jenakijewo, einer einstigen Hochburg des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch, lösten die Nachrichten aus Slawjansk Beunruhigung aus. „Wir haben bald die Mai-Feiertage – und ich fürchte, in diesem Jahr haben wir nichts zu feiern. Ich habe einfach nur Angst vor einem Krieg“, sagte ein Verkäuferin. Ihrer Arbeitskollegin gefällt der Aufstand in Slawjansk gegen die Kiewer Regierung. „Wenn das Terroristen sind, bin ich gerne auch eine Terroristin. Die Amerikaner wollen uns nur ausrauben. Ich glaube, Präsident Putin macht das schon richtig“, sagt sie.