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Archiv-Artikel

Rabenvater Staat

Obwohl es immer mehr benachteiligte Kinder gibt, haben NRWs Jugendämter zu wenig Personal. Das fördert tödliche Fehler, warnen Kinderschützer. „Probleme nehmen zu, das Geld ab“

VON MIRIAM BUNJES

Jugendämter in Nordrhein-Westfalen haben ein Armutsproblem: Die Zahl der gefährdeten und benachteiligten Kindern in den Städten steigt seit Jahren kontinuierlich. Die Zahl ihrer MitarbeiterInnen aber nicht. Im Gegenteil: „Ich rechne fest damit, dass noch mehr Personal abgebaut wird“, sagt Karin Böllert, die seit vielen Jahren für die Universität Münster die Entwicklungen der Jugendhilfe in NRW erforscht. Und schon jetzt schätzen Studien, dass ein Sachbearbeiter ungefähr 70 Jugendliche betreut.

Für Kinder kann die Überlastung der städtischen Jugendhilfe gefährlich werden. Auch in Bochum stellt sich jetzt heraus: Ein sechs Monate alter Junge, der von seinem Vater mit brühendheißend Wasser getötet wurde, war im Jugendamt als Misshandlungsfall bekannt. Das Baby war Monate vor der Tötung wegen Knochenbrüchen im Krankenhaus behandelt worden. Eine Ärztin meldete die Misshandlungen dem Jugendamt. Das reagierte kaum. Die Eltern behielten das Sorgerecht, regelmäßige Kontrollbesuche fanden nicht statt. „Ein tragischer Fehler einer Mitarbeiterin“, kommentiert das der Bochumer Jugendamtsleiter in den Lokalmedien. Für die taz war bei der Stadt Bochum niemand zu sprechen.

Ein Fehler, der seine Ursachen auch im System hat, findet Martina Huxoll vom Kinderschutzbund NRW. „Es gibt immer mehr Kinder, die unter schwierigen Umständen aufwachsen“, sagt Huxoll. „Trotzdem sind die öffentlichen Ressourcen für die Jugendhilfe knapp und das wird wohl auch so bleiben.“

„Wir haben unsere Grenze erreicht“, sagt Peter Tögel, im Gelsenkirchener Jugendamt für die allgemeinen Sozialen Dienste zuständig. 3.500 Heranwachsende von Null bis 20 Jahren beriet das Gelsenkirchener Jugendamt im vergangenen Jahr. Dafür gibt es insgesamt 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Nicht alle brauchen intensive Betreuung, manchmal reicht ein Beratungsgespräch“, sagt Tögel. In 173 Fällen lag der Verdacht einer Misshandlung vor. „Da fahren wir dann zur Not mehrmals in der Woche vorbei“, sagt Tögel. Er beantragt zur Zeit mehr Personal. Ob das klappt, weiß er nicht. Gelsenkirchen ist seit Jahren in der Haushaltssicherung.

Viele Jugendämter in NRW haben die Grenze der Belastung schon überschritten, sagt Karin Böllert von der Uni Münster. „Dadurch werden tödliche Fehler gemacht.“ Gerade die finanzschwachen Kommunen im Ruhrgebiet befinden sich nach Ansicht der Erziehungswissenschaftlerin in einem Teufelskreis. „Die Städte sind verschuldet und haben eine arme Bevölkerung“, sagt Böllert. „Sie müssten eigentlich noch mehr in die Jugendhilfe investieren, wissen aber nicht, woher sie das Geld nehmen sollen.“ Ein Problem, dass einige Städte durch die Förderalismusreform drastisch lösen könnten. „Die Länder können es in Zukunft den Städten überlassen, ob sie überhaupt ein Jugendamt betreiben“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin. „In einigen Städten wird bereits diskutiert, wie die Aufgaben auf andere Ämter verteilt werden können.“ Vernetzungen mit freien Träger und zum Beispiel Ärzten, wie sie bei den Modellprojekten für soziale Frühwarnsystemen erprobt werden, könnten ohne Jugendamt nicht mehr umgesetzt werden. „Irgendeine Stelle muss das doch zentral koordinieren.“