: Postkrisentheater
GOETHEPLATZ Börgerdings dritte Spielzeit beginnt mit besten künstlerischen und finanziellen Voraussetzungen
„Heute sagen wir luxuriöserweise nichts über Zahlen“, erklärt Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD), Aufsichtsratsvorsitzende des Bremer Theaters, bei der Vorstellung der kommenden Theatersaison. Einzig der Kunst könne nunmehr das Augenmerk gelten, denn durch den „furiosen Einsatz“ der Theaterleute sei am Goetheplatz „wirklich ein Neuaufbruch“ gelungen. Der soll in der Saison 2014/15 mit 34 Premieren fortgesetzt werden.
Doch warum die nackten Fakten verstecken, wenn die ebenfalls eine gute Performance liefern? Denn während die Zuschauerzahlen in Michael Börgerdings erster Spielzeit mit 156.000 deutlich unter Plan lagen, sieht es in der laufenden Saison sehr viel besser aus. Bis zum Sommer, so die Hochrechnung, werden 170.000 Menschen im Theater gewesen sein – das wären dann 5.000 über Plan. Finanziell bedeutet das, dass wohl wiederum ein Beitrag zum Abbau der Altschulden möglich ist. „Ich gehe von einem deutlich positiven Ergebnis aus“, sagt der kaufmännische Geschäftsführer Michael Helmbold. In der ersten Spielzeit erzielte das Theater, trotz Zuschauer-Rückgangs, einen Jahresüberschuss von fast 610.000 Euro.
In der kommenden Saison muss nicht ganz so sparsam gewirtschaftet werden. Nach vielen sehr reduzierten Bühnenbildern der letzten Musiktheater-Produktionen leistet sich die Oper einen opulenten Wagner-Auftakt mit den „Meistersingern“. Mit Benedikt von Peter, Andreas Kriegenburg und Armin Petras werden drei sehr erfolgreiche Regisseure in Bremen Musiktheater machen. Beachtlich ist das allemal – auch wenn der Stuttgarter Intendant Petras, bei aller Prominenz, in Sachen Opernregie noch ein Neuling ist. Nun versucht er sich an „Anna Karenina“, eine Neuvertonung von Thomas Kürstner und Sebastian Vogel. Kriegenburg wird Astor Piazzollas Tango-Oper „María de Buenos Aires“ inszenieren. Wer sich der Barockoper annimmt, ist offen, und nicht zuletzt: welche es sein wird. Hintergrund ist eine Absprache-Panne mit Oldenburg, das sich ebenso wie die Bremer Händels „Hercules“ vorgenommen hat.
Bemerkenswert ist die Mitwirkung von Ted Gaier von den „Goldenen Zitronen“ bei einer kollektiven Auseinandersetzung von Monika Ginstersdorfer, Knut Klaßen, Markus Poschner und von Peter mit Mozarts „Entführung aus dem Serrail“. Fremdheitserfahrung und Flüchtlingsschicksale durchziehen die Spielzeit, aber: „Wir kümmern uns auch um bürgerliche Wirklichkeiten“, versichert Börgerding.
In der Tat stehen mit Ibsens „Nora“ oder „Szenen einer Ehe“ nach Ingmar Bergman, die Klaus Schumacher inszeniert, Meilensteine der bürgerlichen Selbstbetrachtung auf dem Programm.
Ein gutes Dutzend Schauspiel-Premieren referiert Chefdramaturg Benjamin von Blomberg in leicht atemloser Intellektualität, darunter Faust I–III und Elfriede Jelineks „FaustIn an Out“ – in dem die Figuren sprechen, die bei Goethe nicht wirklich zu Wort kommen. Im Tanz wird Samir Akika unter anderem „Belleville“ choreografieren – benannt nach einem Pariser Banlieue, neben dem Akika aufwuchs.
Während Moks und Junge Akteure zahlreiche vielversprechende Premieren und Kooperationen planen, scheint der Goetheplatz in Sachen winterliches Familienstück – früher: „Weihnachtsmärchen“ – erneut in die Popularitätsfalle zu tappen. Wieder setzt er, in der Hoffnung auf volle Mehrfachvorstellungen, auf die Bekanntheitskönige des Kinderbuchmarkts. Nach den ästhetisch und inhaltlich unbefriedigenden „Brüdern Löwenherz“ soll nun Pippi Langstrumpf das Haus rocken.
Im Übrigen kommt auch die CDU auf ihre Kosten. Deren Kultursprecher mahnt – obwohl Politik eigenem Bekunden zufolge „nur für Rahmenbedingungen zuständig ist“ – gern an, dass das Theater „auch einen Unterhaltungsauftrag“ habe. Den erfüllt es zweifellos. Etwa mit der Revue-Operette „Im weißen Rössl“. „Wir sind der leichten Muse nicht abgeneigt“, bestätigt Börgerding.
In der Weimarer Republik war das „Rössl“, nach der Dreigroschenoper, immerhin das beim Publikum erfolgreichste Bühnenwerk. Irgendwo muss man den Zahlen ja Gelegenheit zum performen geben. HENNING BLEYL