Stadtspaziergang als Demenzkranker

FESTIVAL Das Bremerhavener Stadttheater widmet sich mit seiner diesjährigen „Odyssee“ dem fortschreitenden Verlust der Persönlichkeit und schreckt dabei vor Experimenten nicht zurück

Das Bremerhavener Stadttheater-Festival „Odyssee“ widmet sich am 30. April bis 4. Mai dem Thema „Erinnern“. Es beteiligt sich damit an der Aufklärungskampagne „Demenz sind wir“, die von Bremerhavener Akteuren der Demenzkranken-Pflege initiiert wurde. Es geht darum, deutlich zu machen, dass fortschreitender Verlust der Gedächtnis- und Orientierungsleistung kein Problem einer gesellschaftlichen Randgruppe ist, sondern irgendwann alle davon betroffen sind.

Bei den Recherchen stellte Festivaldramaturg Lennart Naujoks fest: „Es gibt kaum Stücke über das Thema, es gilt als zu persönlich, privat, um politisch relevant zu sein.“ Was Naujoks trotzdem entdeckte? Vor allem Geschichten vom Verfall, über das Peinigende der Demenz oder verzweifelte Versuche der Angehörigen, mit dem Schrecken umzugehen.

„Fast immer wird Betroffenheit hergestellt, um zu zeigen wie furchtbar die Krankheit ist, aber das hilft einem ja nicht weiter“, sagt Naujoks. Also suchte er Produktionen, die den Umgang mit dem Vergessen erleichtern und der zwischenmenschlichen Verbindung vertrauen, jenseits von Sprache und Erinnerung.

Theo Fransz’ „Geheim“ (Deutsches Theater Göttingen) zeigt sehr einfühlsam die Annäherung eines Enkels an seinen zunehmend vergesslicheren Opa. Martin Baltscheits „Geschichte vom Fuchs“ (Junges Schauspielhaus Hamburg) nutzt das Tierreich für ein poetisches Veto gegen die Ausgrenzung schrullig werdender Verwandter.

Höhepunkt zu werden verspricht ein „Von Wegen“ betitelter „Hörgang“: Den inneren Monolog eines Demenzkranken im Ohr, zugespielt per MP3-Player, soll durch Bremerhaven spaziert und die Stadt mit den zerfetzten Erinnerungen in Einklang gebracht werden. „Es geht um die Erfahrung eines Zustandes der Unsicherheit, während die Persönlichkeit schwindet“, sagt Naujoks.

Der Binnenperspektive nähert sich auch die skurrile Performance „Hamletanstalt“. Unter Anleitung des ehemaligen Schlingensief-Schauspielers Stefan Kolosko wurden freiwillige Bremerhavener in ein „Luxussanatorium“ eingewiesen, wo sie derzeit proben, wie Demenzkranke „Hamlet“ spielen und ein Alzheimer-Aufklärungs-Musical inszenieren. Street-Art- und Slam-Poetry-Workshops sollen die Auseinandersetzung mit dem Thema befeuern. Und sogar Humor ist möglich. Das Motto der Festivalparty lautet: „Einfach unvergesslich.“  JENS FISCHER

■ Mi, 30. 4., bis So, 4. 5., Stadttheater Bremerhaven