Das Ding, das kommt
: Emanzipierte Gläubige

LICHTKREUZE hängt der Künstler Ludger Hinse in Niedersachsen auf

Die Schönheit ist das Provozierende.“ Der Satz der französischen Philosophin Simone Weil passt sehr gut zu dem, was Ludger Hinse demnächst tut: Riesenkreuze hängt der Installationskünstler vom 27. April bis zum 9. Juni in sechs niedersächsische Kirchen und Klöster zwischen Helmstedt und Braunschweig. Das Motto: „Zeichen des Lichtes“.

Bis zu zwei mal zwei Meter sind sie groß, hängen in luftiger Höhe – und tun, was christliche Kreuze sonst nicht tun: Sie strahlen. Aus Scheiben verschiedenfarbigen Plexiglases hat Hinse sie zusammengesetzt und in der Vergangenheit mal zu einem aus Splittern bestehenden Sternenhimmel montiert, mal zu einer spiegelnden Himmelsleiter: ein munterer, federleichter Übergang zur Transzendenz.

Solche Projekte macht der Ostwestfale seit 2007. Den Gläubigen, den Besuchern, auch den Belegschaften und Insassen von Obdachlosenheimen, Gefängnissen, Kantinen und Kirchen haben sie immer sehr gefallen. Sogar Geld haben sie gesammelt, damit die Kreuze länger hängen.

Die Obrigkeit, gerade die kirchliche, schätzt Hinses Kunst teils da schon weniger. „Ihre Kreuze sind zu schön“, habe ihm ein Pastor gesagt, erzählt Hinze. Andere Geistliche hätten gefragt, wann das Kreuz endlich abgehängt werde: Die Gläubigen würden sonntags nicht mehr dem Wort Gottes lauschen, sondern nur auf das sonnendurchflutete Kreuz da oben schauen.

Dabei ist gerade dieses Schauen, das Sichvertiefen in die Helle auch des Jenseits das, was die Religion dem Menschen beibringen will. Und bis zum 12. Jahrhundert, sagt Hinze, seien christliche Kreuze – etwa bei den Kopten in Ägypten und bei den orthodoxen Christen – auch Lichtprophezeiungen und Segenszeichen gewesen. Danach sei das Kreuz in der „römischen Kirche“, und damit meint er die katholische und die evangelische Kirche, zum Sinnbild des gemarterten, leidenden Jesus geworden.

Das will Hinse aufbrechen, indem er seine Kreuze diesmal in Kirchen der Romanik hängt: Die wurden um das 12. Jahrhundert erbaut, als die Tradition der traurigen Kreuze begann. „Ich will wieder an die alte Tradition anknüpfen“, sagt er. Ein lichtes Kreuz bedeute, „dass ich als Mensch mich nicht mehr mit dem Gemarterten identifizieren und mich als Sünder betrachten muss, sondern als befreiter Mensch“.

Diese Vorstellung eines autarken, von Pfarrern emanzipierten Gläubigen entspricht denen der Mystiker, aber so nennt Hinse es nicht. Er sagt nur: „Der befreite Mensch ist für die Herrschaft – ob weltlich oder geistlich – ja immer ein Grundübel.“ Und genau das gefällt Hinse, der aktiver Gewerkschafter und gläubiger Katholik zugleich ist. Einer also, der die Herrschaft des Menschen über den Menschen nicht akzeptiert. Sondern nur die Autorität Gottes.  PS