: „Die Dekonstruktion der Legende“
Elfriede Jelineks „Ulrike Maria Stuart“ zerlegt die RAF. Die Tocher von RAF-Terroristin Meinhof, Bettina Röhl, forderte prompt Änderungen. Morgen ist Uraufführung am Hamburger Thalia Theater. Ein Gespräch mit Intendant Khuon
taz: Herr Khuon, hat Ulrike Meinhofs Tochter Bettina Röhl Textänderungen an „Ulrike Maria Stuart“ durchsetzen können?
Ulrich Khuon: Wir haben unwesentliche Textänderungen vorgenommen. Das Ganze war ja insofern ein komplizierter Vorgang, als zwei Dinge parallel liefen: einerseits ihre Äußerungen und andererseits unser Arbeitsprozess. Das war ein offener Prozess, der erst mit der Premiere abgeschlossen sein wird, und es ist immer ärgerlich, wenn man nicht über endgültige Ergebnisse redet. Was den juristischen Aspekt betrifft, sind wir der Meinung, dass wir keine Persönlichkeitsrechte verletzen.
Sie hielten Bettina Röhls Forderungen also nicht für berechtigt?
Nein. Das Ganze ist auch deshalb ein bizarrer Vorgang, weil Frau Röhl, die selbst Privatheit extrem zum Thema macht, diese Privatheit in der nächsten Wendung dann wieder schützen lässt. Wenn das Thema Mutter – Tochter durch jemanden forciert wurde, dann durch Bettina Röhl. Mit der Besonderheit allerdings, dass sie selbst Anfang und Ende der Interpretation sein will. Dabei ist die Mutter-Tochter-Beziehung weder für den Regisseur Nicolas Stemann noch für Frau Jelinek ein Thema. In dem Stück geht es vielmehr um das komplizierte Bild der RAF.
Hatten Sie mit Frau Röhls Änderungswünschen gerechnet?
Nein, das traf uns überraschend. Frau Röhl hatte eine Probe besucht, und ihre Kritik habe ich zunächst indirekt mitbekommen. Ihre Forderungen haben mich schon überrascht – gerade, weil ich der Meinung bin, dass das Stück nicht unangemessen Privatleben interpretiert.
In Elfriede Jelineks Stück wird Ulrike Meinhof aber doch gar nicht als Privatperson abgehandelt.
So ist es. Vor allem wird sie nicht als politisch-historische, dokumentarische Person abgehandelt. Es wird vielmehr ein Vexierbild gezeichnet. Das Stück stellt die Frage: Wie kann Widerstand aussehen, wie hat er sich verflüchtigt, wie ist er verkommen, wie falsch war er schon damals? Wo sind Grenzen des Eingreifens in öffentliches Leben? All dies wird nicht faktisch abgehandelt, sondern fiktional gespiegelt, die Ikonisierungen der Meinhof-Gruppe inbegriffen. Und sowohl Stemann als auch Jelinek arbeiten intensiv an der Dekonstruktion der Legende RAF.
Ist die Forderung Bettina Röhls nach Textänderungen auch Ausdruck des Problems der deutschen Linken mit der Entzauberung ihrer Idole?
Ich glaube nicht. Abgesehen davon ist Frau Röhls Forderung umso merkwürdiger, als sie selbst permanent an der Dekonstruktion des RAF-Mythos arbeitet. Eigentlich müsste sie sich durch die Aufführung bestätigt fühlen, weil diese eine ähnliche Perspektive einnimmt wie sie.
Was hat Bettina Röhl wohl zu ihrer Kritik an Jelineks Stück motiviert?
Herbert Achternbusch hat einmal über Bayern gesagt: Dieses Land hat mich zerstört, und ich bleibe so lange, bis man ihm das anmerkt. Bei Frau Röhl ist es so, dass diese Mutter ihr Leben bestimmt hat; zumindest in der Außenwahrnehmung. Gleichzeitig wird diese Mutter für viele zum Mythos. Und jetzt arbeitet die Tochter an einer Korrektur. Sie beansprucht die ausschließliche Deutungsmacht über Ulrike Meinhof und verkennt, dass die Nähe zu einer Person den Blick nicht nur schärft, sondern ihn manchmal auch verschwommener werden lässt.
INTERVIEW: PETRA SCHELLEN