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Archiv-Artikel

… then we take Berlin!

Musiker kommen neu in die Stadt. Ist Berlin gut zu ihnen? Was nervt, was funktioniert und was geht gar nicht – die Wahlberliner berichten zusammen

PROTOKOLLE THOMAS WINKLER

NAME: CONRAD STANDISH

Macht Musik als: Sänger und Bassist der Devastations

Stilrichtung: Indie-Rock

Bisherige Stationen: Melbourne (Australien)

Geboren: 1977

Aktuelles Album: „Coal“ (Beggars Banquet/Indigo)

Seit wann in Berlin?

2003 sind wir zum ersten Mal nach einer Tour für ein paar Monate bei Freunden hängen geblieben. Damals habe ich auch ein deutsches Mädchen kennengelernt. Anfang 2005 sind wir dann wieder zurück nach Australien, um unser neues Album aufzunehmen. Und seit Juni sind wir wieder in Berlin.

Warum Berlin?

Es gab keinen Plan, es war eher ein Zufall. Uns ging es um keinen dieser Mythen, nicht den von der Electronica-Stadt. Wir haben auch nicht an die Rockstars aus den Siebzigerjahren gedacht. Aber ich liebe es, dass man in Berlin überall die Geschichte sieht, die Architektur. Das Leben hier ist einfach. Und es ist bezahlbar.

Wie ist Berlin zu dir?

Sehr nett bisher, vielen Dank.

Was wünschst du dir von Berlin?

Vor allem einen Platz zu finden, an dem man eine Weile das Leben genießen kann. Aber es ist schon sinnvoller für uns, hier zu leben. In Australien ist man so weit weg von allem, eine Tour ist fast automatisch ein Zuschussgeschäft. Hier ist man viel näher an London und den USA dran.

Hat Berlin dich schon enttäuscht?

Nein. Ich habe mich von dem deutschen Mädchen getrennt, aber sonst lief alles gut.

Was ist der Sound von Berlin?

Als ich das erste Mal nach Berlin kam, hatte ich erwartet, dass alle hier aussehen wie Blixa Bargeld und ständig Speed schnupfen. Das ist ja zum Glück nicht so. Diese Performance-Electro-Szene aber scheint stark vertreten zu sein. Ich habe jedenfalls noch nicht viele gute Rockbands hier gesehen.

Wie ist dein Berlinerisch?

Ich lerne. Im Alltag, beim Bäcker komme ich klar. Ich spreche wohl so wie ein dreijähriger Deutscher.

www.devastations.net

NAME: ADAM KALDERON

Macht Musik als: Adam

Stilrichtung: Salonchansons in Papierfantasiekostümen, „sehr groß, sehr pompös“ (Adam selbst)

Bisherige Stationen: Beeri (Kibbuz in der Nähe von Gaza, Israel)

Geboren: 1981

Aktuelles Album: ist aufgenommen, aber noch ohne Plattenfirma

Seit wann in Berlin?

Seit dreieinhalb Jahren.

Warum Berlin?

New York ist zu groß, London zu teuer, und Paris mag ich nicht.

Wie ist Berlin zu dir?

Berlin behandelt mich gut. Ich liebe die Stadt, und sie umarmt mich zurück. Allerdings muss ich zugeben, dass ich in einer selbstsüchtigen Blase aus Freunden lebe und nicht einmal Deutsch spreche.

Nur künstlerisch ist es problematisch. Berlin ist wie Michael Jackson: erstaunlich, aber nicht wirklich funktional. Sicher ein guter Platz, um die ersten Schritte im Musikgeschäft zu machen, aber ein Weltreich lässt sich von hier aus nicht aufbauen. Es fehlt das Geld und die Musikindustrie. Es gibt keinen Platz für meine Musik, weil die Deutschen zu ängstlich sind, um im großen Maßstab zu denken.

Was wünschst du dir von Berlin?

Um ehrlich zu sein: Ich ziehe in drei Monaten nach London. Ich hoffe, dass ich dort das finde, was ich hier vergeblich gesucht habe.

Hat Berlin dich schon enttäuscht?

Ich kam hierher und dachte, ich würde jemanden finden, der für mich die Elektronik programmiert. Habe ich aber nicht, und das hat mich so wütend gemacht, dass ich alles selbst gelernt habe. So gesehen bin ich Berlin sogar dankbar. Ansonsten aber fand ich es musikalisch langweilig, weil nicht wirklich Neues hier entsteht. Sag mir nur einen weltweit bekannten Namen, den diese Stadt in den letzten 20 Jahren hervorgebracht hat. Und Berlin ist lange nicht so international, wie es von außen wirkt.

Was ist der Sound von Berlin?

Techno aus dem Jahr 2001.

Wie ist dein Berlinerisch?

Ich bin nicht hierher gekommen, um Berliner zu werden, sondern weil es der richtige Schritt in meiner Karriere war.

www.adam-music.net

NAME: SABRINA MILENA

Macht Musik als: milenasong

Stilrichtung: schräger Folk

Bisherige Stationen: Stuttgart, Oslo (Norwegen), Maidstone (Großbritannien)

Geboren: 1980

Aktuelle EP: „Can’t Tape Forever“ (Monika/Hausmusik)

Seit wann in Berlin?

August 2002.

Warum Berlin?

Ich kam 1998 das erste Mal per Interrail nach Berlin, blieb eine Woche und hatte unheimlichen Spaß. Ich mochte gerade das Ostige, dieses Graue, damals war auch noch nicht alles totsaniert. Das hat mich ein bisschen an Slowenien erinnert, wo ich Familie habe. Seitdem bin ich immer wieder für ein Wochenende hergekommen. Endgültig zog ich dann hierher, um an der Kunsthochschule Weißensee Kommunikationsdesign zu studieren. Ich hatte zuvor schon in England studiert, aber das wurde mir zu teuer.

Wie ist Berlin zu dir?

Ich mag die direkte Art der Berliner, diese Ehrlichkeit, die hat man nicht in Norwegen oder England. Man kommt hier sehr schwer in ein oberflächliches Gespräch. Aber vor allem ist Berlin ständig in Bewegung, man trifft dauernd Menschen. Hier zu leben hat ein Kommen-und-Gehen-Gefühl.

Was wünschst du dir von Berlin?

Dass die Stadt sich ihre angenehme Ruhe bewahrt. Viele kommen her, weil es so billig ist, aber die Stadt ist sehr viel teurer geworden in den letzten Jahren. Man merkt, es kommt langsam Geld in die Stadt. Das macht mir ein bisschen Angst, denn ich weiß ja, wie teuer eine Stadt sein kann.

Hat Berlin dich schon enttäuscht?

Ich bin kein Mensch, der Erwartungen hat. Aber im vergangenen Jahr hat es an mir schon genagt, dass ich das Gefühl hatte, als Musikerin nicht ernst genommen zu werden von Freunden und Bekannten, die selber Musik machen. Da bin ich drei Monate zurück nach Norwegen gezogen, um alles zu überdenken. Als ich danach zurückkam, habe ich ein Label gefunden, hat sich alles ergeben. Ich glaube, man muss Entscheidungen treffen in Berlin, man muss etwas wollen.

Was ist der Sound von Berlin?

Vielfalt. Und ich bin Teil dieses großen Puzzles. Es gibt in Berlin, und das ist großartig, tatsächlich Zuhörer für jeden – zumindest für fast jeden.

Wie ist dein Berlinerisch?

Ich bin in Deutschland geboren und dreisprachig aufgewachsen. Wir sind nach Norwegen umgezogen, als ich zwölf war. Als ich nach Berlin zog, sprach ich Deutsch wie eine Zwölfjährige.

milenasong.de

NAME: „EVIL“ JARED HASSELHOFF

Macht Musik als: Bassist der Bloodhound Gang

Stilrichtung: Rock

Bisherige Stationen: Woxall, Philadelphia, Fairfax, Los Angeles (USA)

Geboren: 1971

Aktuelles Album: „Hefty Fine“ (Interscope/Universal)

Seit wann in Berlin?

Seit dem 11. September dieses Jahres. Ich dachte, an dem Tag will sonst niemand fliegen. Und tatsächlich war das Flugzeug fast leer.

Warum Berlin?

Zweieinhalb Wörter: George W. Bush. Dieses Arschloch hat das Leben in den USA unerträglich gemacht. Wir führen einen Krieg im Irak, bei dem zwei Cousins von mir bereits umgekommen sind, damit Bush, Cheney und zehn ihrer Kumpels noch reicher werden. Die Bloodhound Gang ist nicht mal eine politische Band, aber unsere letzte Single wurde von fast allen Radiostationen auf den Index gesetzt. Außerdem erinnert mich Berlin ein bisschen an Pennsylvania, wo ich aufgewachsen bin und es viele deutsche Einwanderer gibt.

Wie ist Berlin zu dir?

Großartig. Ich musste mir noch keinen einzigen Drink kaufen, weil ich ständig auf Partys bin. Und auf der Straße in Kreuzberg habe ich einer alten Hippie-Lady ein Auto für 250 Euro abgekauft. In den USA habe ich schon mehr ausgegeben für Karren, nur um sie beim Demolition Derby zu Schrott zu fahren.

Was wünschst du dir von Berlin?

Ich hoffe, dass ich in einem Jahr genug Deutsch kann, um mich nicht mehr zum Trottel zu machen. Außerdem soll der Rest der Band nachkommen, damit wir spätestens nächsten März hier in Berlin mit den Aufnahmen zu unserem nächsten Album beginnen können.

Hat Berlin dich schon enttäuscht?

Nicht wirklich. Sogar die Nutten auf der Oranienburger Straße sehen aus wie Supermodels.

Was ist der Sound von Berlin?

Ein türkischer Typ, der dich um 1 Euro anbettelt.

Wie ist dein Berlinerisch?

Scheiße.

www.bloodhoundgang.de