habermas, cicero etc.
: Ein Zettel auf dem Weg nach Westen

Das Magazin Cicero und der Philosoph Jürgen Habermas sind aneinander geraten. Cicero macht mit der Schlagzeile „Vergesst Habermas!“ auf – und serviert dann eine personalisierte und weitgehend argumentfreie Strecke, in der beklagt wird, dass Habermas der letzte verbliebene deutsche Denker von Weltrang sei. Selbst wenn man das bedauern sollte: Warum man ihn deshalb vergessen soll, bleibt in dem Heft unklar. Und ausgerechnet als ersten die fröhliche Metaphernschleuder Peter Sloterdijk als „Deutschlands neuen Denker“ zu präsentieren, macht die Sache nicht gehaltvoller.

Dann ist da aber noch die Sache mit dem Zettel. Cicero kolportiert flankierend ein Gerücht, das Joachim Fest kurz vor seinem Tod in sein Erinnerungsbuch „Ich nicht“ schrieb: Ein als Habermas erkennbarer Denker soll danach ein vermeintlich inkriminierendes Schriftstück schnell heruntergeschluckt haben, das er als HJ-Mitglied ausgestellt hatte und das ihm auf einer Geburtstagsfeier von einem ehemaligen Pimpf überreicht worden sein soll. Dies Gerücht ist unwahr, hat aber einen wahren Kern. Den Zettel gab es, aber es war nur die Aufforderung, zu einem Erste-Hilfe-Kurs zu erscheinen. Habermas erhielt ihn tatsächlich zurück, nur nicht auf einer Geburtstagsfeier; der Historiker Hans-Ulrich Wehler, der Adressat, gab ihn schlicht zurück. Das bestätigte Wehler alles der Berliner Zeitung. Und Habermas hat den Zettel keineswegs heruntergeschlungen, aber doch vernichtet, was allerdings auch nicht klug war.

Jürgen Habermas hat nun leider die Chance verpasst, souverän auf diese Geschichte zu reagieren. Anstatt sie sorgfältig richtigzustellen, schäumt er. In einer öffentlichen Stellungsnahme spricht er von dem Ziel, „zusammen mit Grass eine unbequeme Generation von Intellektuellen abzuräumen“. Dass er sich ärgert, ist verständlich. Dass er sich wieder in einem Kulturkampf gegen die konservative Publizistik wie zu Zeiten der Historikerdebatte wähnt, ist zu hoch gegriffen. Seine intellektuelle Bedeutung besteht gerade auch darin, dass es ihm gelungen ist, sich aus einer Sozialisation in einer schlimmen Diktatur, für die er nichts kann, philosophisch herausgearbeitet zu haben. Solche Zettel gehören zu den Realien, die so ein langer Weg nach Westen beinhaltete. Mehr ist da nicht dran.

DIRK KNIPPHALS