Der Witz als Waffe
Mit seinem Film „Borat“ überschreitet der englische Satiriker Sacha Baron Cohen jede moralische, ethische und politische Grenze – und stößt in Bereiche vor, in denen Humor wieder gefährlich wird
„Ich hoffe, ihr tötet jeden Mann, jede Frau und jedes Kind im Irak, bis zur letzten Eidechse!“, ruft Borat
von ARNO FRANK
Fast möchte man meinen, etwas so Schlimmes wie der britische Satiriker Sacha Baron Cohen, 35, sei Kasachstan seit der Invasion mongolischer Horden nicht widerfahren. Bei einem Besuch im Weißen Haus beklagte sich unlängst der kasachische Präsident Nursultan Äbischuly Nasarbajew bei George W. Bush über die ins Haus stehende Verunglimpfung seines Staates. Cohen sei ein „Schwein von einem Mann“, schimpfte der Botschafter Kasachstans in London in einem Kommentar für den Guardian. Für „nicht tragbar“ hält Cohens Aktivitäten auch Dorothea Haller-Laible, Honorarkonsulin der zentralasiatischen Autokratie für Baden-Württemberg. Die New York Times warf dem Komiker vor, er verbreite „Sexismus, Rassismus, Schwulenfeindlichkeit und das gefährlichste aller sozialen Gifte: Antisemitismus“. Und eine konservative Familie aus dem US-Bundesstaat Alabama empfand ein gemeinsames Abendessen mit Cohen als „schlimmste Heimsuchung seit dem Bürgerkrieg“.
Dabei beruht all dieser Aufruhr doch nur auf einem schrecklichen Missverständnis – wovon sich jeder wird überzeugen können, wenn am kommenden Donnerstag der Film „Borat“ endlich auch bei uns anläuft. Darin schlüpft Sacha Baron Cohen in die Rolle des kasachischen Reporters Borat Sagdiyew, der von seinem Präsidenten persönlich in die „US und A“ geschickt wird. Seine Mission: „Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen “, wie auch der sperrige Untertitel der 83-minütigen Fake-Dokumentation lautet. Zwar schildert Cohen alias Borat die Kasachen allesamt als juden-, schwulen- und frauenfeindliche Barbaren, bei denen Vergewaltigungen, Waffenhandel, Prostitution, Pogrome und Tischtennis als traditionelle Freizeitbeschäftigungen gelten.
Im Gegensatz zu dieser karikaturistischen Verzerrung aber ist sein Blick auf die US-Gesellschaft sehr realistisch – und deshalb umso vernichtender.
Beim Rodeo, beim Autokauf oder in der U-Bahn stellt Cohen sich den „einfachen Leuten“ als linkischer Reporter aus dem hinterwäldlerischen Kasachstan vor, dem man selbst die unverschämteste Frage nachsehen muss. Und wenn dieser Ausländer in seinem stinkenden Anzug wissen will, ob man die Schwulen nicht besser alle aufhängen sollte, dann kommt so mancher Amerikaner ins Grübeln, hm, tja, warum eigentlich nicht?
In einem Waffenladen will „Borat“ wissen, welche Pistole am besten dafür geeignet ist, einen Juden umzubringen – und wird bedient. Die Feministin Linda Stein fragt er, ob es denn für sie nicht problematisch sei, „dass Frauen ein kleineres Gehirn haben als Männer“ – ihre Antwort ist ein wortloser Abgang.
Beim Rodeo greift „Borat“ unter dem freundlichen Beifall des Publikums zum Mikrofon und erklärt sich mit den US-Truppen solidarisch: „Ich hoffe, ihr tötet jeden Mann, jede Frau und jedes Kind im Irak, bis zur letzten Eidechse!“ Jubel brandet auf, und derart angespornt legt der angebliche Besucher aus Kasachstan nach: „Möge George W. Bush das Blut jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes im Irak trinken!“ Erst als er zur Melodie der amerikanischen die angebliche kasachische Nationalhymne anstimmt („Kasachstan ist das beste Land der Welt, alle anderen Länder werden von kleinen Mädchen regiert“), regt sich deutlicher Unmut auf den Rängen.
Ein lokaler Radiomoderator, der dieser Vorstellung beiwohnte, resümierte hinterher: „Ich glaube, wenn er noch eine Minute länger geblieben wäre, hätte jemand auf ihn geschossen.“
In echte Gefahr brachte Cohen allerdings eine andere Figur aus seinem überschaubaren Repertoire: Als schwuler österreichischer TV-Moderator „Bruno“ erkundigte er sich auf einer Versammlung rechtsextremer Rednecks beim Wortführer, welche Feuchtigkeitscreme er benutze. Cohen kam nur knapp mit dem Leben davon.
Auch in seiner bekanntesten und bisher populärsten Rolle als englischer Vorstadt-Rapper „Ali G.“ ging Cohen immer dahin, wo’s wirklich wehtut – etwa wenn er in seiner TV-Sendung „Da Ali G Show“ vom ehemaligen FBI-Chef wissen will, wer John F. Kennedy wirklich getötet hat. Madonna war von „Ali G“ so begeistert, dass sie ihm eine komödiantische Rolle in ihren Videoclip zu „Music“ hineinschreiben ließ.
Privat gibt sich Cohen wesentlich zurückhaltender, wie es sich für einen Cambridge-Absolventen gehört. Er stammt aus einer walisisch-jüdisch-iranischen Familie. Er besuchte die historische Fakultät der Universität und schrieb seine Abschlussarbeit über die Schwierigkeiten jüdischer Minderheiten. Selten dürfte jemand so unfassbar witzig gewesen sein, dem sein Anliegen so bitterernst ist. Nur die Kasachen haben das nicht verstanden.
Um den befürchteten Imageschaden abzuwenden, hat das Regime für 40 Millionen Dollar sogar ein Nationalepos drehen lassen. Es soll Kasachstan in weihevollem Licht zeigen und handelt, klar, vom heldenhaften Kampf gegen die Mongolen.