Eine Art Normierungsanstalt

betr.: „Geschlechtergerechte Pädagogik kann helfen“, taz vom 25. 10. 06

Ulrike Graff scheint, so verstehe ich jedenfalls den Artikel, aus positiven Erfahrungen mit Mädchengruppen darauf zu schließen, dass auch monoedukative Jungengruppen Freiräume „für Selbstbestimmung geben, die über Geschlechterstereotypen hinausgehen kann“. Ich befürchte, dass genau das nicht der Fall ist – nicht aufgrund biologischer Differenzen, sondern aufgrund unterschiedlicher kultureller Referenzen: Eine Mädchengruppe ist ein Freiraum im System hegemonialer Männlichkeit – eine Jungsgruppe kann schlimmstenfalls genau das Gegenteil sein, also eine Art Normierungsanstalt zur Verstärkung hegemonialer Männlichkeitsvorstellungen.

Männerdominierte Gruppen sonstiger Art (Bundeswehr, Forstverwaltung, Feuerwehr …) haben jedenfalls derartige Tendenzen – da traut sich niemand, mal ganz unabhängig vom Stereotyp, ein rosa T-Shirt zu tragen. Insofern teile ich den Optimismus nicht.

Zudem sehe ich einen Widerspruch in der Argumentation von Graff: Auch ich gehe davon aus, dass die Vielfalt innerhalb der Geschlechter größer ist als zwischen ihnen. Aber wenn das so ist, dann macht es doch erst recht keinen Sinn, nach Geschlecht zu trennen. Müsste es nicht viel eher eine Pädagogik geben, die zum einen viel stärker als heute an den individuellen Stärken und Schwächen der Kinder ansetzt, und die zum anderen, wenn denn nach „Typen“ getrennt gehandelt werden soll, eher zwischen Starken und Schwachen, Schüchternen und Extrovertierten unterscheidet?

TILL WESTERMAYER, Freiburg

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