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Archiv-Artikel

Muss man Arbeit lieben?JA

ABRACKERN Arbeit ist das halbe Leben – aber Freude daran haben viele Deutsche laut einer aktuellen Studie trotzdem nicht. Geht es uns etwa nur ums Geldverdienen?

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Anselm Grün, 69, ist Benediktinerpater und Autor zahlreicher Ratgeber zu Lebensfragen

Ich liebe meine Arbeit. Und ich freue mich über die Mitarbeiter in unserem Kloster, bei denen ich spüre, dass sie auch gerne arbeiten. Wenn ich meine Arbeit nur widerwillig tue, dann schade ich mir selbst. Wenn ich mich aber der Arbeit ganz hingebe, dann fließt sie aus mir heraus. Dann tut sie mir gut und ich spüre, dass auch mein Leben in Fluss kommt. Die Arbeit ist ein wesentlicher Teil des Menschen. Wer die Arbeit nur mit halbem Herzen tut, der schneidet sich selbst von einer wichtigen Quelle ab, aus der er für sich und seine Zufriedenheit schöpfen kann. Aber es braucht eben auch eine Arbeitsatmosphäre des Vertrauens, in der die Menschen das Gefühl haben, dass sie geachtet und gesehen werden und dass sie ihre eigenen Ideen einbringen können.

Schorsch Kamerun, 50, ist Sänger der Goldenen Zitronen und Theaterregisseur

Es war wohl der schlaue Marcel Duchamp, der final treffend „um leben zu können muss man nicht arbeiten müssen“ parierte, als man ihn bat, seine neueste künstlerische „Arbeit“ zu präsentieren. Ich selbst glaube, alle wollen schaffen. Ein Kleinkind, dem man Klötze vorlegt, wird beginnen zu schichten, etwas erbauen wollen. Das Problem der überwiegenden Unzufriedenheit beim Werkeln ist simpel psychologisch begründet: DIE Idioten haben uns gezwungen zu robotten, anstatt uns „von ganz allein“ ihren Kram erledigen zu lassen. Aktuell kommt es allerdings noch dicker: WIR Idioten haben damit begonnen, im Zuge der hochmodernen Selbst-Ökonomisierung im eigenen Innern zu schuften. Also, beide Idioten in die Schranken weisen, dann bringt’s auch wieder Bock.

Brigitte Pothmer, 59, ist Arbeitsmarkt-Sprecherin der Grünen im Bundestag

Wer schaffen will, muss fröhlich sein, das wusste schon Fontane. Aber Liebe zur Arbeit lässt sich nicht verordnen. Für gute Bedingungen zu sorgen ist vor allem Aufgabe der Führungsebene. Es ist ein Bild des Jammers, dass viele Beschäftigte ihre Potenziale nicht einsetzen können oder wollen. So entsteht nicht nur großer volkswirtschaftlicher Schaden, sondern auch ein Verlust an Lebensqualität. Versuche, über unsichere Arbeitsverhältnisse wie befristete Verträge und Leiharbeit Engagement zu erzwingen, sind fehlgeschlagen. Den Wettbewerb um die klügsten Köpfe und die geschicktesten Hände werden Arbeitgeber gewinnen, die Beschäftigten den richtigen Mix zwischen Flexibilität und Sicherheit anbieten, Raum für Kreativität und Selbstverwirklichung lassen und bei denen das Verhältnis zwischen Geben und Nehmen stimmt.

Thomas Vasek, 45, ist Redakteur und Autor von „Work-Life-Bullshit“

Ja, man muss Arbeit lieben. Jedenfalls, wenn es gute Arbeit ist – Arbeit, die unsere Fähigkeiten zur Geltung bringt. Gute Arbeit trägt wesentlich zu einem guten Leben bei. Sie schafft Gründe, Identität und Sinn. Ihre inneren Werte können wir aber nur realisieren, wenn wir die Arbeit wichtig nehmen. Nur so können wir sie zu unserer eigenen machen – und damit zu guter Arbeit, die uns im Leben weiterbringt. In diesem Sinne „müssen“ wir gute Arbeit tatsächlich lieben, aus dem einfachen Grund, weil es sonst keine gute Arbeit ist, jedenfalls nicht für uns. Für gute Arbeit müssen wir kämpfen, als Individuen wie als Gesellschaft. Schlechte Arbeit – die „Bullshit-Jobs“, von denen David Graeber spricht – darf man hassen. Dann ist es aber am besten, man sucht sich einen neuen Job.

Nein

Götz Werner, 70, ist Gründer der Drogerie dm und Befürworter des Grundeinkommens

Eine Mutter, die die Windeln ihres Babys wechselt, liebt nicht das Windelnwechseln – sie liebt ihr Kind. Und Windeln zu wechseln ist Arbeit, ob es eine Erzieherin in der Kita – bezahlt – oder die eigene Mutter – unbezahlt – tut. Alles, was jemand für andere Menschen tut, ist Arbeit. Die Arbeit ist das Mittel, der Zweck sind andere Menschen. Dass es bei der Arbeit um Selbstverwirklichung ginge, ist ein Irrglaube. Es geht um die Bedürfnisse anderer. Lieben sollte man das Ziel, den Zweck der Arbeit – so wie eine Mutter ihr Kind. Denn Liebe macht sehend für die Bedürfnisse der anderen. Liebe ist der Idealfall, das Mindeste ist Interesse, besser ist Anteilnahme an den Bedürfnissen und Sorgen der Kundinnen und Kunden. Die Frage ist also: Liebe ich meine Kunden?

Bruno Kramm, 46, ist Musiker, Produzent und Kandidat der Piraten zur Europawahl Würden Sie noch arbeiten, wenn Ihre Existenz gesichert wäre? – Ja, aber etwas anderes! Die meisten Jobs sind weniger Berufung als Erwerbsarbeit zur Existenzsicherung und drücken die Ungleichheit in der Gesellschaft aus. Dabei löst der digitale Wandel eigentlich die Produktionsmittel spielerisch aus dem Privateigentum. Gemeinsam genutzte Daten und Wissen sind die Güter. Freie Software und HTML-Codes die Produktionsmittel. Das prognostizierte Ende der Vollbeschäftigung durch technische Rationalisierung braucht aber das bedingungslose Grundeinkommen als befreiende Triebfeder für Menschen, die der Berufung nachgehen, die sie interessiert. Wenn heute 67 Prozent im Job nur das Nötigste leisten und nur 16 Prozent zufrieden sind, was würden dann Menschen leisten, wenn sie ihrer wahren Berufung nachgehen könnten?

Carmen Losmann, 35, ist Regisseurin des Films „Work Hard Play Hard“

Nein – wenn wir über die Form der Arbeit sprechen, zu der ich innerhalb des kapitalistischen Systems gezwungen werde. Schließlich komme ich nur an Geld, wenn ich eine profitable Arbeit ausübe. Liebe ich sie, habe ich zwar Glück, die Probleme, die die Profitausrichtung unserer Arbeit hervorrufen – etwa die sozialen und ökologischen Auswirkungen – lösen sich damit allerdings nicht. Ich wünsche mir, dass Arbeit nach anderen Kriterien bewertet wird: etwa ob sie dazu beiträgt, das Leben auf diesem Planeten lebenswerter zu machen. Dann kann ich sie meinetwegen auch lieben.

Bine Koch, 48, ist Putzfrau und taz-Leserin und hat den Streit per Mail kommentiert

Ob ich meine Arbeit liebe? Nein, ganz gewiss nicht. Die Fragestellung sollte eher lauten: „Werde ich dafür geliebt, dass ich meiner Arbeit nachkomme?“ Nach Garten- und Landschaftsbau und Restaurantfachfrau bin ich nun Putzfrau – auauau – in einem Bereich mit verhaltensauffälligen Menschen, bei mir kurz aber liebevoll meine Pannemänners und -frauen genannt. Einweisung in meine Arbeit gab es nicht, ich muss ganz alleine damit klarkommen, bei psychisch oder geistig kranken Menschen zu putzen. Aber ich liebe es, mit den Klienten zu plaudern, während ich feucht durchfeudel und getrocknete Kacke von den Klobrillen kratze. Ich bin eine plaudernde Putze und meine Pannemänners und -frauen mögen mich. Das ist das Einzige, was mich morgens aufstehen lässt. Manchmal frage ich mich allerdings: „Hömma, watt tuste dich da ainklich an?“, und ich antworte mir: „Ich schreibe ein Buch.“ Kapitel für Kapitel mit Kommentaren im Internet.