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Archiv-Artikel

Nie war er so wertvoll wie heute

Die Weltmarktpreise für Metalle sind so sehr gestiegen, dass Schrott geradezu kriminell lukrativ geworden ist. Eine Reportage über einen Händler und seine Kunden

VON BARBARA BOLLWAHN (TEXT) UND HANS-PETER STIEBING (FOTOS)

Eine Stunde nach Mitternacht tauchen die zwei Männer zum ersten Mal auf. Im Schutz der Dunkelheit zerstören sie die Alarmanlage draußen am Zaun und verschwinden wieder. Wenige Minuten später rücken Wachdienst und Polizei an. Sie können keinen Einbruch feststellen und beenden ihren Einsatz. Zwei Stunden später kehren die Einbrecher zurück. Sie tragen Masken, zerschneiden das Kabel einer Überwachungskamera und hebeln ein Bürofenster auf. In aller Seelenruhe – von der Alarmanlage geht keine Gefahr mehr aus. Nur wissen sie nicht, dass es auch drinnen eine gibt. Als die losgeht, ergreifen sie die Flucht. Eine Überwachungskamera nimmt den missglückten Einbruch auf.

Das Objekt ihrer Begierde war der Tresor von Gerd Hasenfuß. Der Geldschrank steht in einem Büro auf einem ehemaligen Kohlenplatz in Berlin-Schöneberg. Das einen Hektar große Gelände liegt am Ende eines kleinen Weges. Vorbei an Reifen-Müller, Autoservice, Ölwechselcenter, Tischler, Großküchenhändler. Auf der linken Seite wird es begrenzt von den Mauern des Zwölf-Apostel-Friedhofs. Während dort die Vergänglichkeit tief unter der Erde liegt, türmt sie sich bei Hasenfuß hoch über der Erde. Heizungen, Badewannen, Regenrinnen, Rohre aus Eisen, Kupfer, Zink, Kabel aus Messing, Aluminium, Kupfer, Stahlträger, Spundwände bis hin zu Patronenhülsen von Schießständen.

Hasenfuß ist ein Totengräber der besonderen Art: Er ist Schrotthändler. Von montags bis samstags kauft er Tonnen von Schrott an. Bevor er diesen weiterverkauft, braucht er erst einmal viel Geld. Wie viel in dem Tresor war, auf den es die Einbrecher abgesehen hatten, will er nicht sagen. Er macht nur eine Andeutung: „Sie können sich vorstellen, dass es viel ist.“

Noch nie war Schrott so wertvoll wie heute. Weltweit steigt die Nachfrage nach Rohstoffen so stark, dass die Preise für Messing, Zink, Eisen und vor allem Kupfer in astronomische Höhen klettern. Der Preis für Kupferschrott ist mittlerweile fast genauso hoch wie für reines Kupfer. Für Millberry-Kupfer, das ist kalt geschälter Kupferdraht, ein wertvoller Elektrolytkupfer, werden derzeit 550 Euro gezahlt pro hundert Kilo. Für einhundert Kilo Kupferdraht bekommt man bis zu 535 Euro, für Leichtkupferschrott bis zu 460 Euro, Messingschrott bringt noch 285 Euro. Über 45 Prozent der Kupferproduktion in Deutschland stammen mittlerweile aus Altkupfer, also Schrott.

Mit steigenden Börsenpreisen macht natürlich auch Gerd Hasenfuß Gewinn. Jeden Tag kauft er tausende Tonnen Schrott und Alteisen auf, die später für die Eisen- und Stahlindustrie eingeschmolzen werden. Altkupferabfälle enden in der Kabelproduktion. Von montags bis samstags gehen bei ihm im Minutentakt 20-, 50-, 100-, 200-Euro-Scheine über den Tisch. Im gleichen Takt fahren Pritschenwagen, Lkws und Pkws über die Waage vor dem Bürofenster, gefüllt mit Altmetall und Schrott.

Vom schmutzigen, lauten Schrottplatz aus ist es nur ein imaginärer Sprung in die große Welt der Finanzen, zu den Börsen mit den täglich wechselnden Metallnotierungen. Jeden morgen um 9 Uhr ruft Hasenfuß die Notierungen ab. Ein Pager in der Größe einer Zigarettenschachtel überträgt per Funk die Daten von der Londoner Metallbörse. 125 Euro zahlt er für diesen Service pro Monat. Eine lächerlich geringe Investition, die er mit wenigen Kilo kalt geschältem Kupfer locker wieder drinhat. Am 17. August stand der Preis für eine Tonne Kupfer bei sagenhaften 6.574 Euro. „Wahnsinn“, sagt selbst Hasenfuß, ein Mann von großer Statur, mit Schnauzer und randloser Brille. Er ist 53 Jahre alt, trägt bei der Arbeit ein verschwitztes, weinrotes T-Shirt und schwarze Jeans, auf denen Dreck, Öl und Staub nicht so auffallen. Die ideale Kleidung für einen, der seit über zwanzig Jahren im Schrottgeschäft ist.

Bei steigender Börse macht er immer Gewinn. Kupfer zum Beispiel. Am 2. Januar lag der Preis für eine Tonne bei 3.710 Euro. Am 1. Februar bei 3.980. Am 1. März bei 5.265. Am 4. Mai bei 6.003. Nach den Spitzenwerten Mitte August hat er sich jetzt bei knapp 6.000 Euro eingependelt. Kein Spitzenwert mehr, aber immer noch sehr hoch. Doch auch bei fallender Börse kommt Hasenfuß klar, mit der gewissen Vorsicht, die ihm eigen ist. Seinen Namen verdankt er einer Anekdote aus dem 18. Jahrhundert: In einer Familienchronik ist überliefert, dass sich ein Vorfahr namens Hagen aus der Altmark durch schnelles Laufen im Siebenjährigen Krieg der Gefangenschaft entzogen hat, sodass Soldaten des Alten Fritz ihm den Namen Hasenfuß gaben. Der eine Hasenfuß war schnell, der andere ist vorsichtig.

Etwa 500 sogenannte Verwiegungen hat er am Tag. Gut 100 Tonnen Schrott landen tagtäglich bei Hasenfuß, die er an Hüttenwerke und Gießereien weiterverkauft, aber auch an andere Händler. Gebracht wird er von etwa 100 Firmenkunden und 200 Kleinkunden wie dem Arbeiter im Blaumann, der gerade eine schwere Stofftasche auf der Waage entleert. Heraus fallen verschieden große Reste Kupferkabel. Die Waage zeigt 27 Kilogramm an. Der Preis steht bei 5,20 Euro pro Kilo. Der Mann erklärt, dass er auf Baustellen arbeitet und im Auftrag der Bahn Kabel zieht. „Manchmal bleibt was über oder liegt was rum. Die Weltmarktpreise sind so gestiegen, Recycling ist das Beste, was es gibt.“

Für die Kabelreste bekommt er 140 Euro und 40 Cent ausgezahlt. Oder der Mitarbeiter einer Sanitärfirma, heute hat er 470 Kilogramm Eisenschrott dabei, für 68 Euro und 15 Cent. „Eine warme Suppe ist allemal drin“, sagt er und ist zufrieden. Oder der junge Bosnier, der an diesem Tag 6 Kilo Zink, 4 Kilo Kupfer, 5 Kilo Alu, 7 Kilo Kupferkabel und 770 Kilo Eisenschrott liefert und 220 Euro und 60 Cent erhält. „Ich war zwei Stunden unterwegs und habe nur 70 Euro investiert“, sagt er zufrieden.

Ein Mitarbeiter eines Reisebusunternehmens ist das erste Mal auf dem Schrottplatz. Und sicher nicht das letzte Mal. Er hat 710 Kilogramm Aluminium und 520 Kilogramm Stahl gebracht, Schrott, der sich in zwanzig Jahren auf dem Firmengelände angesammelt hat. Normalerweise übernimmt eine Fremdfirma die Entsorgung. Aber als sich der Mann den Empfang von 1.028 Euro für seine Fuhre quittieren lässt, kommt er ins Nachdenken. „Vorher waren wir froh, wenn das jemand abgeholt hat, jetzt werden wir das wohl selber machen.“

Es ist eng und stickig in dem kleinen Büro hinter der großen Glasscheibe an der Waage. Dichtgedrängt stehen Männer in Blaumännern und verschwitzten Unterhemden am Tresen. Deutsche, Bosnier, Bulgaren, Türken. Viele haben kräftige, tätowierte Arme und Schweißtropfen an Stirn und Nase. Selbst wenn jemand ungeduldig wird oder pampig, bleibt es meist ruhig im Kabuff. Das liegt auch an Anke Maurus, der einzigen Frau weit und breit. Die 35-Jährige ist der Mittelpunkt des grauen Büros. Sie trägt die blonden Haare hochgesteckt, dazu ein T-Shirt mit der Aufschrift „Von Alufolie bis Zinkbadewanne, Recycling ist unser Geschäft“. Allein ihre Präsenz sorgt für Umgangsformen an diesem rauen Ort. „Tag, mein Engel“, wird sie begrüßt. Oder: „Hallo, meine Schöne!“ Selbst in der größten Hektik hat sie Zeit für ein Lächeln oder dazu, jemanden „kleiner Scherzkeks“ zu nennen. Sie hat den richtigen Ton für dieses Geschäft: freundlich und bestimmt. „Du willst Geld und ich deine Passnummer. So einfach ist das“, bekommt jeder zu hören, der keinen Ausweis dabeihat oder sie mit irgendeinem Firmenpapier abspeisen will.

Hasenfuß hat Anke Maurs vor zwei Jahren eingestellt. Vorher hat sie Wasserzähler verkauft, von Schrott hatte sie keine Ahnung. Damit erfüllte sie seine wichtigste Einstellungsvoraussetzung. Der Schrotthändler wollte niemanden haben, der zu viel Einblick hat. „Wer schon mal in der Branche war, könnte dazu neigen, nebenbei zu verkaufen.“ Auch Hasenfuß ist nicht in eine Schrottdynastie hineingeboren. Eigentlich wollte er Geologe werden. Doch nach dem Vordiplom ließ er die Wissenschaft vom Aufbau, der Zusammensetzung und Struktur der Erde sein. Ende der 70er-Jahre, er war mittlerweile verheiratet und hatte zwei Töchter, hatte er angefangen, bei einem Schrotthändler als Lkw-Fahrer zu jobben. Die Arbeit gefiel ihm, und die Berufschancen für Geologen standen ziemlich schlecht. Als der Schrotthändler starb, nahm er einen Kredit auf und kaufte der Witwe den Platz ab, 300 Meter von seinem jetzigen Areal entfernt.

Die Entscheidung hat er nicht bereut. „Ich hätte damals nie gedacht, dass man so viel Geld man mit Schrott verdienen kann“, sagt er. „Und das“, schiebt er mit einem zufriedenen Lachen hinterher, „zu weltweit festgelegten Preisen.“ Wird Hasenfuß gefragt, was er arbeitet, sagt er nicht, dass er Schrotthändler ist. Er sagt: „Ich arbeite auf einem Schrottplatz.“

Wiederverwertbare Abfälle sind überall zu finden. Bei Privatleuten, die nichts von Börsennotierungen wissen, in Gewerbegebieten, wo so gut wie jede Firma Reste und Abfall produziert oder irgendwo am Wegesrand. Fliegende Schrotthändler leben davon, sie aufzuspüren und einzusammeln. So wie der junge Mann, der jeden Tag in- und außerhalb von Berlin auf Tour geht. Er will anonym bleiben. Nur so viel: Er ist volljährig, spricht sehr gut Deutsch, ist ein schmales Kerlchen mit einer großen Klappe, trägt ein Dolce&Gabana-T-Shirt, eher falsch als echt. Stolz erzählt er, dass schon sein Großvater und auch sein Vater ihren Lebensunterhalt mit Schrott verdienten. An einem Mittwochmorgen um halb neun kommt er mit seinem Pritschenwagen zu einem Burger King an einer U-Bahn-Station im Süden von Berlin gefahren. „200 Euro Tageslohn müssen sein“, gibt er als Losung aus. Weil es zu zweit mehr Spaß macht, lädt er am Bahnhof Zoo einen Kumpel ein, auch der 18 Jahre, dick und eher still. „Jeden Tag ein Hunni ist perfekt“, begrüßt er ihn und haut ihm auf die Schulter. „Hab ich recht, Dickerchen?“

Ohne Plan und ohne Landkarte fahren die beiden los. In der Hosentasche haben sie 200 Euro für Benzin, den Ankauf von Altmetall und eine Bulette oder Wurst zwischendurch. Mit ihnen auf der Sitzbank hockt die Gewissheit „Man fährt nirgendwo umsonst hin“.

Rauf geht’s auf die Autobahn Richtung Magdeburg und nach wenigen Kilometern eine Abfahrt Richtung Potsdam wieder runter. Die erste Station ist eine Firma für Autozubehör in einem Gewerbegebiet. Dieses Mal ist der Restecontainer leer. „Manchmal gibt es viel und manchmal gar nichts“, sagt der Fahrer und springt wieder hinters Lenkrad. Weiter geht’s zu einer Baufirma. Auch dort waren andere schneller. „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Hinter einem Gitterzaun einer Baumaschinenfirma erspäht er einen Container mit Eisenstangen. „Das darf man sich nehmen, oder?“, sagt er mit einem breiten Grinsen zu seinem Kumpel. Zehn Sekunden später steht er auch schon auf dem Firmengelände. Genauso schnell ist er wieder runter. Ein Arbeiter im Blaumann erteilt ihnen mit einem entschiedenen Kopfschütteln eine Abfuhr. „Früher hat jeder dich gebeten, was mitzunehmen.“

Zurück auf der Autobahn, schweift der Blick sehnsüchtig über die dicken, schwarzen Telefonkabel, die parallel zum Asphalt verlaufen. „Die würde ich gerne einsacken.“ Wenn sie nicht unter Strom stünden. Dabei steht er selbst irgendwie unter Strom. Er raucht viele Zigaretten und erzählt viele Geschichten. Wie er einmal zusammen mit seinem Bruder irgendwo in Süddeutschland Kupferkabel im großen Stil von einem Firmengelände geklaut habe. Wie sie mehrere Wochen lang das Gelände beobachtet hätten, um die Präsenz des Pförtners und die Rundgänge des Wachschutzes auszukundschaften. „Planung ist das A und O.“ Als sie sich unbeobachtet fühlten, legten sie los. „Dann haben wir nur noch geklaut, geklaut, geklaut, bis 3.15 Uhr.“ 100.000 Euro habe ihnen das Geschäft eingebracht.

Die nächste Geschichte erscheint vergleichsweise lächerlich. Ein Typ hat ihm neulich 500 Kilo Aluprofile angeboten. Die könnte er für 60 Cent das Kilo haben und für 1,30 Euro weiterverkaufen. Er zieht sein Handy aus der Hosentasche und rechnet mit der rechten Hand, während er mit der linken das Steuer hält. „Das wären 350 Euro Gewinn!“ Das Problem ist, dass der Verkäufer den Deal nur mit Gewerbeschein machen will. Er aber nicht. Das Finanzamt weiß nichts von seinen Geschäften. Sein Kumpel winkt ohnehin ab. „Wenn du Scheiße isst, muss ich nicht auch Scheiße essen.“

Schweigen macht sich im Wagen breit. Nach wenigen Sekunden kommt der nächste Vorschlag. Ein Typ mit einer Metallfirma will ihm vier Tonnen Kupferrohre verkaufen und sie dann als geklaut melden. Wieder schüttelt sein Kumpel den Kopf. „Dickerchen, mein Dickerchen“, sagt der Fahrer und legt ihm den rechten Arm um die Schulter. „Ich bin ehrlich“, verkündet er, „aber nicht, wenn es um Geld geht.“ Er lacht schallend und wird sogleich wieder ernst. „Ich würde die Rohre kleinschneiden und nach und nach verkaufen. Ich bin ja nicht blöd.“

Im Büro von Hasenfuß drängelt sich ein Mann zwischen den Wartenden hindurch. Er will sich schnell nach den aktuellen Preisen erkundigen. Hasenfuß nennt sie ihm, akribisch notiert der Kunde sie auf einem Zettel. Bevor er geht, hat er noch eine Frage. „Ist das immer so voll hier?“ Hasenfuß nickt, ohne von seinen Lieferlisten aufzublicken. Der Mann schüttelt den Kopf. „Scheiße.“

Auch Hasenfuß wundert sich manchmal über die langen Schlangen, die sich vor seinem Schrottplatz bilden. An einem Samstag im August kamen zwischen halb neun und halb zwölf 97 Kunden. Das macht im Schnitt zwei Kunden pro Minute. Den absoluten Rekordtag hat er auf einem Zettel an einer Pinnwand notiert. Am 24. Mai, einem Mittwoch, hat er zwischen halb sieben und halb fünf 254 Kleinlieferanten abgefertigt. Vorbei die Zeiten, in denen ein Getränkeautomat an der Kasse stand. Hasenfuß hatte einen aufgestellt, als Service für die Kunden. Doch dann hat er ihn wieder abgebaut. „Die Leute haben sich einfach zu lange hier aufgehalten.“ Auch der Masseur, den er seinen gestressten Mitarbeitern spendiert, kommt in letzter Zeit kaum noch. Seine gut zwanzig Mitarbeiter im Büro, an der Waage, in den Baggern und an der Kasse haben kaum Zeit zum Luftholen, geschweige denn zum Entspannen. Sie müssen wiegen, sortieren, auszahlen, in einem fort.

Die weltweite Nachfrage und die hohen Preise haben auch zur Folge, dass Metalldiebe längst Einzug in die Polizeistatistiken gehalten haben. Einzeltäter und Banden, Deutsche, Tschechen oder Polen, stehlen, was nicht niet- und nagelfest ist: Wasserhähne, Gullydeckel, Wasserrohre aus Wohnhäusern, Schrottcontainer und Kabeltrommeln von Baustellen, Wellblechdächer, Kupferplatten auf Friedhöfen, Kupferfallrohre von Kirchen, Eisengussfackeln in russischen Ehrenmalen, Blechfässer von Brauereien. Auch bei dem Diebstahl einer Bronzebüste des Kommunistenführers Ernst Thälmann, die vor einigen Monaten aus einer Gedenkstätte südlich von Berlin verschwand, geht die Polizei von Metalldieben als Tätern aus.

Äußerst attraktiv ist auch Metall, das im wahrsten Sinn des Wortes einfach so herumliegt: Bahngleise. Ein besonders dreister Fall ereignete sich im Februar in Niederhessen: Dort hatten zwei Männer mit einer gefälschten Auftragsbestätigung der Deutschen Bahn eine Firma beauftragt, 5 Kilometer Gleise im Wert von 170.000 Euro abzumontieren. Oder Ende August in Essen: Dort hatte ein Bediensteter der Bahn einen ortsansässigen Schrotthändler mit dem Abbau und Verkauf von 40 Tonnen Schienen beauftragt. Sein Erlös: 7.000 Euro.

Wegen der horrenden Kupferpreise verschwinden mittlerweile fast täglich Signalkabel bei der Bahn. Die Täter gehen dabei ein hohes Risiko ein, weil die Kabel unter Strom stehen. Doch die Gewinnaussicht scheint die Angst zu minimieren. Entfernen sie die Ummantelung der Kabel, stoßen sie auf einen Kern aus Kupfer von höchster Reinheit. „Die Leute sitzen abends vor dem Fernseher und ziehen mit dem Messer die Ummantelung ab“, sagt Hasenfuß. Ende August traf es auch die taz in Hamburg: In zwei aufeinanderfolgenden Nächten stahlen Diebe unter Lebensgefahr hundert Meter armdicke Kupferkabel der benachbarten Bahn. Die Folge für die taz: zweimal kompletter Stromausfall und zwei Notausgaben der taz-Nord. Für die Bahn und ihre Kunden bedeuten die Kabeldiebstähle Weichen- und Signalausfälle, stundenlange Zugverspätungen und teure Wartungsarbeiten. Der jährliche Schaden beläuft sich nach Angaben einer Bahnsprecherin auf einen zweistelligen Millionenbetrag.

Auch die Metallbranche selbst bleibt nicht verschont. „Die Zahl der Diebstähle nimmt drastisch zu“, heißt es in einer vor wenigen Wochen veröffentlichten Pressemitteilung des Verbandes Deutscher Metallhändler. Der Bundesverband Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen, der größte Stahlrecyclingverband in Europa, hat auf seiner Internetseite eine eigene Rubrik „Diebstahlmeldungen“ eingerichtet. Gab es früher jährlich fünf bis zehn Diebstähle auf Firmengeländen, sind es jetzt zwei bis drei pro Woche. Alle Meldungen enden mit dem gleichen Zusatz: „Vor dem Ankauf der Ware wird gewarnt.“ Auch Schrotthändler informieren sich gegenseitig. „Aber“, fragt Hasenfuß, „kann man allen Schrotthändlern vertrauen?“ Eine Antwort gibt er nicht.

Stunde um Stunde düsen die beiden Schrottsammler mittlerweile auf ihrer Tour zwischen Autobahn, Gewerbegebieten und Dörfern herum, halten vor Wohnhäusern und Firmen mit dem immer gleichen Spruch. „Hallo, Meister! Wir wollten fragen wegen Schrott. Wir zahlen auch gut.“ Köpfe werden geschüttelt, manchmal ergibt sich ein kurzes Gespräch, bisweilen hören sie horrende Preisforderungen, hin und wieder bekommen sie auch einen Tipp, wo etwas zu holen sein könnte.

Ab und an wird es aber auch kritisch. So wie in einem Gewerbegebiet in Luckau, wo sie bei einer Autowerkstatt auf Ausbeute hoffen. „Die haben sicher was für uns.“ Doch nicht jedem gefällt die Art, sofort in jede offenstehende Tür hineinzuspazieren und sich suchend umzugucken. Der Chef verweist sie vom Gelände. Doch der Schrottsammler ist hartnäckig. „Ich zahle auch gut.“ Zweimal sagt der Chef entschieden Nein. „Und jetzt weg hier.“ Ein zweiter Mitarbeiter kommt hinzu. Die Arme entschlossen in die Hüfte gestemmt, wirft er ihm einen feindseligen Blick zu. „Gibt’s ein Problem?“, fragt er. „Dann falz ich dich zusammen.“ Der fliegende Schrottsammler ignoriert ihn und entschuldigt sich beim Chef. „Kommt nicht wieder vor.“ Dann fahren sie vom Hof. „Hier verplempern wir unsere Zeit, Dickerchen.“

Sie bleiben auf der Landstraße und halten weiter Ausschau. „Manchmal hast du bis zwei oder drei Uhr am Nachmittag nichts“, erzählt der Fahrer, „und dann kommt die Granate.“ Nach wenigen Sekunden im Büro einer Baumaschinenfirma setzt er sich wütend hinters Steuer. „Der hat Schrott, aber er will ihn uns nicht geben, der Wichser.“ Langsam wird es Zeit für die Granate. An einer Kreuzung übersieht er beinahe ein Stoppschild. Im letzten Moment geht er auf die Bremse. Um ein Haar wäre der Wagen der Schrottsammler selbst zu Schrott geworden.

Fünf vor zwölf werden sie fündig. Der Chef einer Baufirma überlässt ihnen den Inhalt von zwei Schrottcontainern. Mit dem Gabelstapler lädt er Reste von Aluminium, Eisen, Zink und Profilbleche mit lautem Getöse auf den Pritschenwagen, dazu vier prall gefüllte Säcke mit Aluminiumspänen. „Was willste dafür haben?“ Der Mann zuckt die Schultern. Sie geben ihm 20 Euro und nehmen ihm das Versprechen ab, auch in Zukunft nichts wegzuwerfen oder anderen zu geben. Sie schätzen den Gewinn auf 50 bis 60 Euro. Kleinvieh macht auch Mist.

Hasenfuß sichert sich im Rahmen seiner Möglichkeiten ab. Indem er Kunden Platzverbot erteilt, die dubiose Ware bringen oder die auf dem Weg von der Waage zur Kasse eine Null auf dem Lieferschein hinzufügen. Auf einer Liste an der Wand stehen ein Dutzend Namen von gesperrten Zulieferern, die meisten bosnischer und albanischer Herkunft. Damit kein falscher Eindruck entsteht, hat Hasenfuß einen Sticker an der Liste befestigt: „Gegen Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit“.

Ein absolutes Muss auf dem Schrottplatz sind der Personalausweis, dessen Nummer er notiert, und ein Lieferzettel, den er sich unterschreiben lässt. „Ich versichere, dass die Ware mein Eigentum ist und ich unbeschränkt darüber verfügen kann.“ Eine Unterschrift, die nicht immer hält, was sie verspricht. „Ach Gott“, sagt Hasenfuß, „ob das denen gehört, die unterschreiben?“ Die Frage bleibt ohne Antwort. Wie soll man das bei Altmetall und Schrott auch wissen. Hasenfuß schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Er braucht die Daten, um dem Finanzamt nachzuweisen, an wen er Geld ausgezahlt hat. Sonst kann er keine Betriebsausgaben geltend machen. Und sollte sich gekaufte Ware als geklaut herausstellen, hat er die Daten des Verkäufers.

So wie vor wenigen Wochen. Da hat er von einem Mann 374 Kilo alte Messingventile für gut 700 Euro gekauft. Einige Tage später erkannte der Sohn eines anderen Schrotthändlers die Messingteile wieder. Sie waren seinem Vater gestohlen worden. Nun lagern sie bei Hasenfuß in einem Nebengebäude, bis der Fall geklärt ist. Die Daten des Verkäufers hat Hasenfuß der Polizei gegeben. Nur wird es schwer sein, nachzuweisen, dass die ihm verkauften Ventile die sind, die dem anderen Schrotthändler geklaut wurden.

Bei neuer Ware sieht es schon anders aus. Will jemand fünf Meter lange neue Kupferrohre verkaufen oder gestempelte Kupferbarren, winkt Hasenfuß ab. Einmal brachte ihm einer Kupferkabel, auf denen das Zeichen der Telekom prangte. Hasenfuß winkte ab. Wenige Minuten später tauchten zwei Männer auf und fragten ihn vorwurfsvoll, warum er die Kabel nicht gekauft habe. Es waren Detektive, die im Auftrag der Telekom den Dieb beschatteten und ihn zu gerne beim Verkauf gestellt hätten. Hasenfuß lacht. „Ich hätte die Kabel bezahlt – und das Geld nicht wiedergesehen.“

Die nächste Station der beiden Schrottsammler ist ein Gehöft. „Auf Bauernhöfen wird man immer fündig“, frohlockt der Fahrer und dreht eine Runde nach der anderen auf dem großen Gelände. Im Schritttempo fährt er vorbei an alten Stallungen und Gerätschaften und hupt. Anscheinend ist niemand zu Hause. „Wer sagt‘s denn.“ Im Gras erspäht er mehrere Rollen Kupferkabel. Noch einmal drückt er auf die Hupe. Es bleibt still. Er steigt aus und nähert sich dem Objekt seiner Begierde. Da biegen zwei Männer und zwei Frauen mit einem Hund um die Ecke. Sie wissen, dass die Kabelrollen wenige Minuten später weg gewesen wären. Ertappt fühlt sich der Schrottsammler deshalb noch lange nicht. Ungeniert fragt er, ob sie die Kabel nicht verkaufen wollen. „Im Sommer suchen und im Winter klauen“, sagt eine der Frauen und schaut ihn böse an. „Und jetzt macht, dass ihr wegkommt.“

An einer Landstraße geraten die beiden plötzlich aus dem Häuschen. Sie haben etwas gesehen, was interessant sein könnte. Eine abrupte Bremsung, der Wagen wird zurückgesetzt, und zack geht es rein in einen holprigen Feldweg, dann zu Fuß durchs Feld, hin zu einem Waldstück, wo riesige Rollen liegen.

Mit nassen T-Shirts und langen Gesichtern kommen sie zurück. Statt der erhofften Kabelrollen sind es nur aufgerollte Plastikfolien für die Landwirtschaft. Wenige Kilometer weiter, wieder in einem Gewerbegebiet, stinkt es den beiden gewaltig. Sie halten im Hof einer Biogasanlage. Der Gestank ist kaum auszuhalten. Sie ziehen die T-Shirts über die Nase und inspizieren riesige Tüten mit Aluminiumverpackungen, die neben Paletten mit Katzenfutter liegen. Für 20 Euro können sie das Aluminium mitnehmen, in dem einmal Kuchen eingepackt war.

Auch an einer Tankstelle einige Kilometer weiter werden sie fündig. Auspuffe, riesige Eisenketten, Bremsscheiben, verrostete Tanks, Wasserhähne liegen in einem Container. „He, Meister! Können wir das haben?“ Sie können. Für ein paar Euro laden sie den Schrott auf. Ihre Gesamtausbeute an diesem Tag schätzen sie auf 50 Kilo Aluminium und eine Tonne Mischschrott. Ihr Tagesziel, so erklären sie, werden sie damit nicht ganz erreichen. Der Fahrer lässt nebenbei noch schnell ein großes Metallschild mitgehen, das ein paar Meter weiter an einer Wand lehnt, und braust davon.

Im Radio läuft der passende Soundtrack. „Alles nur geklaut“ von den Prinzen: „Das ist alles nur geklaut, heho, hehe. Das ist alles nur geklaut und gestohlen, nur gezogen und geraubt. Entschuldigung, das hab ich mir erlaubt.“

Anfang Oktober haben sich erneut Diebe auf dem Firmengelände von Schrotthändler Hasenfuß zu schaffen gemacht. Diesmal erfolgreich. Sie haben fünfzehn Tonnen kalt geschälten Kupferdraht gestohlen. Und einen firmeneigenen Lkw dazu. Mit dem haben sie die Ladung im Wert von 90.000 Euro abtransportiert. Um die Alarmanlage nicht in Gang zu setzen, haben sie die mit Stahlträgern verstärkte Einfriedung neben der Toreinfahrt durchbrochen. Außerdem haben sie das Ortungssystem aus dem Fahrzeug herausgerissen. Der leere Lkw wurde wenige Tage später im Spreewald gefunden.

BARBARA BOLLWAHN, 42, ist Reporterin der taz. Seit der Schrotttour geht sie mit anderen Augen durch die Welt. Überall sieht sie nun verwertbares Altmetall HANS-PETER STIEBING, 50, lebt als freier Fotojournalist in Berlin. Seine Themenschwerpunkte sind Reportagen mit sozialem Hintergrund. Davon würde er gerne mehr machen