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Archiv-Artikel

Im Verein der Widerständler

Zur Gründung vor 60 Jahren kam die ganze NRW-Politprominenz. Heute ist die VVN längst als Kommunistenverein verschrien. Aber sie kämpft unverdrossen gegen alte und neue Nazis

VON DIRK ECKERT

Es war eine große Veranstaltung: 500 ehemalige Verfolgte des Nationalsozialismus versammelten sich am 26. Oktober 1946 im Neuen Theater in Düsseldorf. Es war die Gründungsversammlung des NRW-Landesverbands der „Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN). Die 500 Delegierten vertraten rund 50.000 NS-Verfolgte, die damals im neu gegründeten Bundesland Nordrhein-Westfalen lebten. Gerade den Konzentrationslagern und Gestapo-Kellern entronnen, wollten sich die Überlebenden gemeinsam organisieren: erstens um ihre unmittelbaren Interessen, etwa den Anspruch auf Entschädigung, zu vertreten; zweitens, um jede Wiederholung, jedes Wiederaufflammen des Nationalsozialismus zu verhindern.

Nazi-Opfer verschiedenster politischer Couleur fanden sich in der neu gegründeten Vereinigung zusammen. Dem „kleinen Vorstand“ der Organisation gehörten drei SPD-Mitglieder, zwei KPDler und je ein Mitglied von CDU, Zentrum, FDP und jüdischer Gemeinschaft an. Den Vorsitz teilten sich Ernst Saalwächter (KPD) und Peter Lütsches (CDU).

Entsprechend illuster war die Gästeliste der Gründungsversammlung. Der erste Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der Zentrumspolitiker Rudolf Amelunxen, hielt eine Ansprache (siehe unten), vier Minister der Landesregierung waren anwesend, ebenso Düsseldorfs Oberbürgermeister Karl Arnold (CDU) sowie verschiedene Landräte, Bürgermeister und Stadtdirektoren. Vom Regierungspräsidenten ist das Wort überliefert, die VVN sei ein „Orden zur Festigung und Stärkung der Demokratie“.

Doch die Eintracht hielt nicht lang. Der aufkommende Kalte Krieg machte antifaschistischen Bündnissen und Organisationen bald ein Ende. Die SPD erklärte die Mitgliedschaft in der VVN schon 1948 für unvereinbar mit dem SPD-Parteibuch. Für sozialdemokratische Nazi-Opfer richtete die Partei die Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten (AVS) ein.

Auch CDU-Mitglieder wie NRW-Gründungsvorstand Peter Lütsches traten schließlich aus und gründeten den Bund der Verfolgten des Naziregimes (BVN). Die verbliebenen VVN-Antifaschisten – oftmals Kommunisten – kämpften weiter: gegen die Remilitarisierung, gegen den Aufstieg von Altnazis in die Spitzenämter der Bonner Republik. Von den höchsten Regierungsstellen bekamen sie allerdings keine warmen Geleitworte mehr wie einst in Düsseldorf. Im Gegenteil: 1950 beschloss die Bundesregierung unter Adenauer, Staatsbedienstete, die in der VVN waren, zu entlassen. Ein Verbotsverfahren in den 1960ern scheiterte jedoch, nachdem die Nazivergangenheit von beteiligten Juristen bekannt geworden war.

So konnte die VVN weiter machen. Anfang der 1970er Jahre öffnete sie sich für Jüngere und wurde zur „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“. Die VVN/BdA überlebte nicht zuletzt mit finanzieller Unterstützung aus der DDR. Kritikern galt und gilt sie deswegen bis heute als Vorfeldorganisation der DKP. Auch der Verfassungsschutz beobachtet die Gruppierung, die allerdings trotzdem als gemeinnützig anerkannt ist, wie VVN-NRW-Sprecher Ulrich Sander betont. Die Vorwürfe wegen der DKP-Verbindungen sieht Sander, selbst Mitglied der Partei, gelassen. „Wir distanzieren uns nicht von Kommunisten“, sagt er. „Der Arbeiterwiderstand war nun mal größtenteils kommunistisch.“

Heute hat die VVN/BdA eigenen Angaben zufolge rund tausend Mitglieder in Nordrhein-Westfalen. Sie betreibt ein Archiv, berät Verfolgte, klärt über alte und neue Nazis auf. Fast auf den Tag genau feiert der NRW-Verband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes am heutigen Samstag seinen 60. Geburtstag. Wieder in Düsseldorf, wieder in einem Theater – dem Savoy. Aber diesmal ohne den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen.