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Archiv-Artikel

Deutschland – ein Sommerloch

Eine neue Dokumentation will den Erfolg von Sönke Wortmanns WM-Film fortsetzen

Der CSU-Mann Stefan Müller wird auf der Hinterbank zum Star des Sommerlochs 2006

Sönke Wortmanns WM-Film „Deutschland – ein Sommermärchen“ ist der Knüller dieses Kino-Herbstes. Jetzt kommt der nächste Doku-Kracher in die Kinos: „Deutschland – ein Sommerloch“. Die Wahrheit hat mit dem Mann gesprochen, der das absolute Nichts auf die Leinwand bringt.

„Einfach mit der Kamera draufhalten. Keiner Nichtigkeit ausweichen. Und im Schneideraum niemals Reste hinterlassen! Also – was der Sönke kann, das können wir doch auch!“ Paddy Wiecijowski lehnt sich lächelnd zurück. Der 25-jährige Regisseur wirkt müde, aber zufrieden. In nur zwei Monaten hat er seinen ersten Kinofilm fertiggestellt: „Deutschland – ein Sommerloch“ heißt das Debüt. Es ist ein Novum in der Geschichte des politischen Dokumentarfilms.

Haben Klassiker des Genres wie „The War Room“ sich darum bemüht, die Hintergründe politischer Entscheidungen, das Innere der Machtzentralen zu zeigen, verfolgte Wiecijowski einen ganz anderen Ansatz. Mehr als vier Stunden lang präsentiert er Bilder aus den verwaisten Fluren des Reichstags, dem leeren Plenum, den grabesstillen Büros in Kanzleramt und Ministerien. Gedreht wurde ausschließlich während der Parlamentsferien – in den Kalenderwochen 28 bis 36, gemeinhin als „das Sommerloch“ bekannt. „So viel Nichts war selten“, staunten Kritiker, die bereits einen Blick auf Wiecijowskis Material werfen durften. Der Filmkünstler ist stolz auf dieses erste Urteil.

Die Idee zum Film habe er schon vor Jahren entwickelt. „Aber ich holte mir buchstäblich Schwielen vom Klinkenputzen“, berichtet er: „Dokumentarfilme gelten bei Produzenten als Kassengift.“ Hinderlich war wohl auch sein Plan, ausschließlich mit Branchengrößen wie Michael Ballhaus (Kamera), John Williams (Musik) und Wenzel Storch (Special Effects) zu arbeiten. „Ich hatte damals ja keine Ahnung, dass man alles viel billiger machen kann, mit nicht mehr Aufwand als bei einem Urlaubsvideo. Da hat Sönke echte Pionierarbeit geleistet!“

Der Jungregisseur scheut den Vergleich mit dem berühmteren Kollegen nicht. „Erinnern Sie sich an ‚Der bewegte Mann‘? Diese Comic-Verfilmung von Sönke Wortmann? Etwa zur gleichen Zeit bereitete ich ebenfalls eine Comic-Adaption vor. ‚Disneys lustiges Taschenbuch 241‘. Ich hatte ein fabelhaftes Skript!“ Doch weil Wiecijowskis favorisierte Hauptdarsteller – Til Schweiger als Donald und Katja Riemann als Oma Duck – bereits von Wortmann verpflichtet worden waren, sei das Projekt gescheitert.

Von solchen Rückschlägen hat der Zelluloidzauberer sich nicht beirren lassen: „Ich wusste, dass einmal meine Stunde schlagen würde.“ Seine Beharrlichkeit ist belohnt worden. Kaum hatte die Presse berichtet, mit welch bescheidenen Mitteln und Darstellern Sönke Wortmann seine WM-Dokumentation „Deutschland – ein Sommermärchen“ realisieren wollte, erinnerte sich ein Produzent an Wiecijowskis Treatment und engagierte den Newcomer vom Fleck weg. „Kick it like Wortmann!“ – das sei die einzige Bedingung gewesen. Denn für den gesamten Dreh standen nur 600 Euro aus dem Filmförderungsfonds Berlin-Charlottenburg zur Verfügung. „Damit kamen wir aber locker über die Runden“, sagt Wiecijowski mit professioneller Unbescheidenheit. Die kann er sich auch leisten.

Da mit dem knappen Budget die Verpflichtung seines Dreamteams ein Traum bleiben musste, übernahm das Multitalent sämtliche Aufgaben selbst: Kamera, Ton, Schnitt, sogar das Catering („Leberwurstzwieback und Eistee“). Nur unter „Production Driver“ ist ein anderer Name vermerkt: „Edda Kröpcke, meine Zimmerwirtin. Sie wollte immer schon zum Film“, schmunzelt das Wunderkind, „zur Not mit dem eigenen Auto.“

Frau Kröpcke war es auch, die Wiecijowski mit ihrer „Ballina Schnauze“ den Weg ebnete ins „Allerheiligste“, die Abgeordnetentoiletten im Reichstag. Hier entstand die wohl intensivste Szene des Films: Stefan Müller, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der CSU, übt auf der sagenumwobenen „Hinterbank“ jene Worte ein, die ihn zum Star des Sommerlochs 2006 machen sollten: „Alle arbeitsfähigen Langzeitarbeitslosen müssen sich jeden Morgen bei einer Behörde zum Gemeinschaftsdienst melden und werden dort zu regelmäßiger, gemeinnütziger Arbeit eingeteilt – acht Stunden pro Tag, von Montag bis Freitag.“ Der Regisseur ist besonders stolz darauf, dass Müller bei der Premierengala von „Deutschland – ein Sommerloch“ als Stargast auftreten und sein legendäres Statement „live“ wiederholen wird.

Paddy Wiecijowski zweifelt nicht am Erfolg. Die Zeit sei reif für Dokus, in denen nichts passiert und die Hauptdarsteller lauter Verlierer sind: „Das hat Sönke doch bewiesen!“ Und deshalb plant der quirlige Jungregisseur bereits seinen nächsten Streich. „Deutschland – ein Sommernachtstraum“ soll vom Abgang Ulrich Wickerts aus der „Tagesthemen“-Redaktion erzählen. „Ich garantiere allen Zuschauern eine geruhsame Nacht“, behauptet Wiecijowski. Unmöglich, seinem Enthusiasmus zu widersprechen. KAY SOKOLOWSKY