Schröder signiert etc.
: Grinseonkels Akkordarbeit

„What’s going on here?“, fragte ein Tourist. „Someone’s book signing“, antwortete ein anderer. „Who’s that someone?“ – „Some German author, I guess.“

Tatsächlich bot sich der Laufkundschaft in der Großbuchhandlung an der Berliner Friedrichstraße ein merkwürdiges Bild: Neugierige, die um eine lange Schlange herumliefen, die in die Tiefen des Geschäfts zu führen schien. Und je weiter man kam, desto mehr Mikrofone und Kameras wurden sichtbar. Mancher trug gar eine Helmkamera.

Und am Ende der Schlange, saß da „irgendein deutscher Autor“? Nein. Gerhard Schröder war gekommen, um sich mit der Leserschaft seines ersten Buchs gemein zu machen. Unten, eine Showtreppe tiefer, saß er und signierte. Der „Altkanzler“, der Verräter der Sozialdemokratie, der Zerstörer der sozialen Sache. Er, der fast allein für die Wahlniederlagen der SPD und dann für das überraschende Unentschieden mit der CDU bei der letzten Bundestagswahl sorgte. Er, der Inbegriff des neuen Machtmenschen, der selbstgemachte Medienkanzler, Genosse der Bosse, Vorstandsmitglied russischer Gaslieferanten und jetzige Bestsellerautor. Da saß er, zehn Meter unter dem Erdgeschoss des „Kulturkaufhauses“ Dussmann und unterschrieb sich einen Wolf. Es ist anzunehmen, dass man ihn noch nie so viel hat arbeiten sehen. Was ihm natürlich nichts anhaben konnte, das war schließlich sein Job als Autor, der mit seinen gesammelten Memos, mit seinen Verengungen und Verdrängungen und dem hübsch auf seine Machtpositionen hinweisenden Titel „Entscheidungen“ den neuen Bestseller vorgelegt hat. Daher wohl auch sein Grinsen. Ein Grinseonkel bei der Akkordarbeit.

Reden musste er nicht. Reden war heute nicht angesagt bei diesem Publicity-Termin, geredet hatte nur eine blonde Frau mit großem Mund, die wohl die Eigenschaft als Gastgeberin innehatte. Aber auch sie sprach nur drei Sätze. Reden durfte dafür einmal das Volk, und zwar in die zahlreichen Mikrofone. Das Volk sah dabei übrigens äußerst durchschnittlich aus, jung bis alt, gewöhnlich bis fein. Früher hatte es um Brot oder Begrüßungsgeld angestanden. Heute stand es für eine Unterschrift an und hatte sich extra herausgeputzt dafür. Für fünfzehn Sekunden mit Gerd. Vielleicht hatte es tatsächlich auch dessen Machwerk gelesen. Oder es zumindest noch vor. In der Mediendemokratie ist ja vieles möglich. RENÉ HAMANN