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Archiv-Artikel

Ein Abend ohne Schmiss

Kai Diekmann, Chefredakteur und Herausgeber von „Bild“, hält in Münster einen Vortrag über die „Marke ‚Bild‘ “ – vor der extrem rechten Burschenschaft „Franconia“, in der Diekmann Mitglied ist

AUS MÜNSTER MARIUS MEYER

Es ist Donnerstagabend und viel los im Haus der Burschenschaft „Franconia“. Im Saal des Gebäudes, das zentral zwischen Aasee und Schlossgarten liegt, sitzen an massiven Tischen junge und alte Männer, viele mit bunten Mützen, Bändern und Gesichtsnarben dekoriert. Auf der anderen Seite des Saals sind zusätzliche Stuhlreihen aufgebaut. Auf diesen billigen Plätzen sitzen zumeist junge Leute, die keine burschenschaftlichen Erkennungszeichen tragen. Sie warten auf einen „Alten Herrn“ der Franconia, der über die Studentenverbindung hinaus Interesse und die Gemüter erregt: Kai Diekmann, Chefredakteur der Bild-Zeitung, kommt zu Besuch, um einen Vortrag zum Thema „Der Erfolg der Marke Bild“ zu halten.

Diekmann war von 1983 bis 1985 „Frankone“ – allerdings kein studentisches Mitglied, sondern „Militär-Fux“. Er leistete seinen Wehrdienst in Münster ab und ließ sich dort für weitere zwei Jahre im Pressestab verpflichten. Als er zum Springer Verlag ging, trat er aus, um später, wie er erzählt, wieder einzutreten.

Als der prominente Gast mit zwanzig Minuten Verspätung endlich kommt, wird es ein bisschen hektischer im Saal. Ein paar der Gäste auf den billigen Plätzen springen auf und ziehen Fotoapparate aus ihren Rucksäcken. Zwei Franconia-Burschen, die in der Nähe stehen, tuscheln, ob nun doch Presse anwesend sei. Die scheint nicht willkommen zu sein. Seltsam, schließlich sitzt der Chef der auflagenstärksten Zeitung Europas an diesem Abend auf dem „Chargen-Sessel“, von dem aus bei den „Kneipen“ die Kommandos gegeben werden, die eigentlich immer mit dem Wort „Bier“ beginnen.

Dass die Franconia keinen Wert auf Berichterstattung legt, liegt aber nahe. Denn sie ist extrem rechts. Das verrät schon ein Blick ins Semesterprogramm. Am 9. November, wenn anlässlich der Reichspogromnacht der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland gedacht wird, hält „Bundesbruder Eilers“ den „Fuxen“, den Jungmitgliedern, einen Vortrag zum Thema „Die verlorenen deutschen Siedlungsgebiete“. Zehn Tage später, am Volkstrauertag, findet bei den Frankonen das „Heldengedenken“ statt. Auch das Dritte Reich hatte am Volkstrauertag nicht der Kriegstoten gedacht, sondern der Kriegshelden.

Auf Websites übliche englische Begriffe wie „Link“ oder „E-Mail“ finden sich auf der Homepage der Burschenschaft nicht. Stattdessen heißt es „Verweis“ und „E-Post“ – eine national befreite Seite im „Weltnetz“, wie viele Rechtsradikale das Internet nennen.

Die „schlagende“ (also fechtende) und „farbentragende“ Franconia brüstet sich damit, dass dank ihrer Vorarbeit der „volkstumsbezogene Vaterlandsbegriff“ in die Verfassung des Dachverbandes „Deutsche Burschenschaft“ (DB) eingeführt worden sei. Außerdem ist sie Mitbegründerin der „Burschenschaftlichen Vereinigung“, die nach Angaben des Burschenschaftsexperten Dietrich Heither noch weiter rechts als die DB steht und in dieser inzwischen tonangebend sei. Sie vertritt die Auffassung, dass keine „Abtretung der Ostgebiete stattgefunden hat“. Diese Gebiete befänden sich im „Schwebezustand“, da es keine Abstimmung unter den Vertriebenen gegeben habe. Im Juni 2004 bezog der ehemalige Bundessprecher der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten, Oliver Westerwinter, in den Räumlichkeiten der Franconia Quartier.

Dort verrät Bundesbruder Diekmann nun die „Geheimnisse des Bild-Erfolges“: Exklusivität, personalisieren, unterhalten, visualisieren, eindampfen und – als Wichtigstes natürlich – die Leser. Nichts Überraschendes. Auf ungläubiges Staunen stößt auf den billigen Plätzen dagegen, dass man „zu Fehlern, die nun mal immer passieren können, stehen“ müsse. „Warum,“ wird leise gefragt, „druckt Bild dann nie die Rügen des Presserates?“

Der Vortrag plätschert dahin, Diekmann erzählt witzig, spannend, aalglatt. Er erklärt, warum Bild das „letzte mediale Gemeinschaftserlebnis“ sei und dass Prominente, die die Öffentlichkeit „einladen, im Aufzug des Lebens mit nach oben zu fahren“, Berichterstattung auch ertragen müssten, wenn es wieder abwärts geht. Im Grunde sagt er, dass ein Politiker, Schauspieler oder Sportler, der einmal mit seinem Privatleben an die Öffentlichkeit geht, medial zum Abschuss freigegeben ist.

Dass die Mitgliedschaft in der Franconia seine Karriere beschleunigt hat, bezweifelt Diekmann danach in kleiner Runde. Auch würden Frankonen bei der Vergabe von Praktika oder Plätzen an der Springer-Journalistenschule nicht bevorzugt.