: Eine goldene Nacht
Radrennfahrer Erik Zabel aus Unna beglückt beim Dortmunder Sixdays seine meist besoffenen Fans
DORTMUND taz ■ Dass ARD-Kommentatoren nicht nur Schleichwerbung können, sondern auch schlichte Reklame, beweist Herbert Watterott am Samstag Abend in Dortmund. Der alte Mann der öffentlich-rechtlichen Radsportberichterstattung knödelt beim Sechstagerennen Werbebotschaften durch die Westfalenhalle. Als ein Sponsor aus der Bierbranche nach einem Rennen dem Sieger eine überdimensionierte Pilstulpe überreicht, befiehlt Watterott übers Hallenmikro: „Blasen Sie den Schaum den Fotografen in die Kamera!“ Weil der Fahrer nicht vom Gerstensaft kosten will, reimt der Kommentator: „Nur nippen, nicht kippen.“ Nach so einem „heißen Rennen“ sei ein „kühler Schluck“ doch das Beste. Prost Herbert eben.
Watterott führt mit seiner Wichtig-Stimme durch das Programm der so genannten „Goldenen Nacht“ beim Sixdays, als gehe es um alles. Der Radsport-Experte geht als TV-Reporter bald in Rente: Doch flüssig wie die Etappenziele der Tour de France gehen dem 65-Jährigen die Sponsorennamen der traditionsreichen Bahnveranstaltung über die Lippen.
Wie Watterott hat die Hallenradlerei in Dortmund ihre besten Tage allerdings längst hinter sich. Das 65. Sechstagerennen lockt eine sperrige, vergnügungsaffine Klientel an: Bauern mit roten Wangen aus dem Sauerland, solariumverbrannte Tussis in engen Lederkostümen und nie jung gewesene Ü30-Säufer, die sich dauernd anschreien. Aus den Boxen penetriert „Viva Colonia“, 5.000 Zuschauer pfeifen den „Sportpalast-Walzer“ und üben LaOla. In den Rennpausen gibt eine Lasershow. Nebenan auf der Partybühne singt Loona.
In den Gängen der Westfalenhalle muss niemand klaustrophobische Ängste ausstehen. Voll sieht anders aus. „Früher war viel mehr los und um die Zeit waren wir Kellner längst betrunken“, sagt eine Frau mit dunkel gefärbten Haaren am Zapfhahn. Es ist ein Uhr nachts. Drinnen fahren gerade die „Knatterbüchsen“ (Watterott). Stinkende Motorräder, mit denen man zuweilen Gehbehinderte im Straßenverkehr sieht, führen jeweils einen Radfahrer an. 66 Runden. Übertriebener Titel der Knatterei: „Weltpokal“.
Den Dauer-Soundtrack dazu liefert weiter Watterott. Mit Sakko und gelber Krawatte sitzt er am Sprecherplatz in Zielhöhe der Holzbahn und weiß alles, über alle Fahrer. Als ein dänischer Starter aufs Rad steigt, erfahren wir: Der Arme hat „ein Geschwür“ am Hintern, das „nach innen wächst“.
Und sportlich? Ganz vorn in der Gesamtwertung liegt der bekannte Radrennfahrer Erik Zabel aus Unna mit seinem Partner Bruno Risi. Zabel ist der Star in Dortmund. Die Leute grölen, wenn „Ete“ wieder mal ein Rennen gewonnen hat. Als beim Zieleinlauf im Mannschaftsrennen einmal die Konkurrenz vorne zu liegen scheint, hat plötzlich doch wieder Zabel gewonnen. Zielfotos fällt aus. Die Verlierer schütteln mit dem Kopf. Die Halle tobt. Ehrenrunde für den Held Zabel. Wieder Viva Colonia. Ein Zuschauer nimmt einen Schluck aus einem Flachmann. Morgen sind die Sixdays wieder vorbei. Schade. MARTIN TEIGELER